Antonia und Eva sind Bergfreundinnen mit großen Zielen. Auf ihrer Wunschliste stehen nicht die voralpinen Berge, die jedes Wochenende einen Ansturm erleben, sondern Grate, Rinnen und die Gipfel hoher Berge. Doch um einen Punkt dieser Liste abzuhaken, muss alles stimmen: Wetter, Vorbereitung, Begleitung – und die mentale Verfassung.    

Es ist die Suche nach einer Erfahrung, die an die Grenze geht. Doch welche Grenze eigentlich? Die eigene oder die von anderen? Welche anderen wären das denn? In diesem Text geht es stattdessen um die eigene Komfortgrenze.  Doch wo verläuft die? In der Hohen Tauern zum Beispiel. Hier hat Antonia die ihre überschritten. Sie und Bergfreundin Eva erzählen die ganze Geschichte. 

Lange stand auf besagter Wunschliste die Tour zum Großglockner. 3.798 Meter misst er. Es sollte ruhig etwas mehr als nur hinaufgehen, also wurde der Stüdlgrat die Aufstiegsroute der Wahl. Fast 1.000 Höhenmeter feinste Kletterei im festen Granit. Zweimal wurde das Unterfangen wetterbedingt schon verschoben. Nun war es aber Zeit! 

Gruppenmotivation und ein wohlbekannter Gipfel

Fünf Freunde in zwei Seilschaften haben ein gemeinsames Ziel. Und jede*r bringt etwas ein: Mut, Erfahrungsschatz, Detailwissen, Begeisterung. Hochtouren hatten alle schon bestritten, Antonia jedoch nur eine einzige. Immerhin hatte die Crew gemeinsam schon andere Abenteuer erlebt. Dieses sollte nun ein wenig spannender werden. Es waren wohl die Gruppenmotivation und der wohlbekannte Gipfel, die Antonia überzeugten mitzugehen. 

Tour zum Großglockner: Erfahrungen und Tipps

Gleich die erste Etappe zur Stüdlhütte setzt in Eva Adrenalin frei. Freilich darf das Radler auf der Terrasse nicht fehlen. Klingt perfekt, doch trotz eines reichhaltigen Buffets für richtige Bergsteiger*innen verspürt sie keinen Appetit. Das kennt sie von sich nicht, ist sie doch sonst immer für Knödel zu begeistern. Ist es die Aufregung? Übelkeit und pochende Kopfschmerzen verhageln ihr den ausgelassenen Hüttenabend. Auch Schmerzmittel helfen nichts. Tatsächlich merkt sie die 2.800 Höhenmeter mehr als gewünscht und mehr als erwartet. Die Teilnahme an der geplanten Tour rückt in diesem Moment in weite Ferne. Mit Kopfschmerz, Bauchgrummeln und Gedankenkarussell geht es vor der nächsten Etappe der Tour zum Großglockner ins Bett. Die Anspannung im Matratzenlager knistert wie eine Stromleitung im Sturm.   

Der schöne Stüdlgra

Der Tourentag bricht an. Vier Uhr morgens. Alle aufgestanden! Geplant ist ein Gipfeltag. Nun rödelt Antonias Gedankenkarrussel: Was, wenn ein Sturm aufzieht, der der Tour einen Strich durch die Rechnung macht“. „Kann ich noch umdrehen?“, fragt sie sich sogar insgeheim. Dann taucht am Horizont die Sonne auf. Und mit dem Sonnenaufgang verschwinden die dunklen Gedanken. Eva fühlt sich dank der Schmerzmittel zwar besser, ob sie die Tour meistern kann, steht aber noch in den verblassenden Sternen. „Erstmal bis zum Einstieg gehen, dann weitersehen“, sagt sie sich. 

Der Stüdlgrat ist nicht der leichteste Anstieg auf Österreichs Höchsten, aber er ist als einer der Schönsten bekannt. Über 500 Höhenmeter zieht sich der Grat mit langen Tiefblicken und Kletterei bis zum oberen 3. Grad zum Gipfel. Die Absicherung ist alpin. Die Hochtour an sich ist mit AD+ bewertet. Gerade die Verhältnisse bestimmen aber die tatsächliche Schwierigkeit. Glück für Antonia und Eva: An diesem Tag sind sie perfekt.

Großglockner-Tour: Der steile Grat zerrt an den Nerven

Endlich rein in den Klettergurt also, und die Bergstiefel fest geschnürt. Endlich raus an die Luft. Ist Eva bereit? Zugegeben, diese Uhrzeit ist nicht ihre, dennoch spürt sie Energie und Zuversicht in sich. Zum Glück hat sie sich gezwungen, trotz der Übelkeit am Vorabend etwas zu essen. Kaum ist der Gletscher in Sicht, der Himmel rosa gefärbt und die Seilschaft in Gange, kommt die Gruppe in den bekannten Flow. Konzentriert, motiviert, sicher geht es voran. Vielleicht steigt sie später sogar vor, nimmt sich Eva zaghaft vor.  

Apropos Klettergurt: Ausrüstungstechnisch sollten bei Unternehmungen dieser Art neben der allgemeinen Hochtourenausrüstung wie Steigeisen, Seil und Pickel auch Kletterausrüstung und Vertrauen in das eigene Kletterkönnen mit im Rucksack sein!

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Eine mentale Sackgasse

Und apropos Vertrauen: Sind Antonias Bedenken inzwischen verflogen? Auf eine Sackgasse trifft man eher selten im alpinen Gelände. Antonia findet an der Randkluft trotzdem eine – die mentale Sackgasse. Jeder Schritt ist schwerfällig, die Atmung rast. „Ich kann nicht mehr“, denkt sie. Und macht sich selbst Mut: Komm, geht schon! Irgendjemand oder irgendetwas steuert sie letztlich durch das Geröllfeld und die Kluft, bis hoch auf den Grat. Das Gipfelkreuz am Frühstücksplatzl scheint noch in weiter Ferne. Wieder eine wacklige Stelle. Hui, da gehts aber steil runter! Ausgesetztheit steht am Stüdlgrat durchgehend auf der Tagesordnung. Klettern bis zum Dritten Grad sollte man daher par excellence beherrschen.  Eigentlich kein Problem für Antonia. Warum fühlt es sich heute anders an?

Großglockner-Tour: Der steile Grat zerrt an den Nerven

Eva indes hat alle Zweifel überwunden. Sie ist im Flow: einatmen, ausatmen, Schritt für Schritt. „Ich vertrau dir“, sagt jemand. Das bestärkt. So fühlt sie sich unterstützt, obwohl sie diejenige ist, die führt. Mobile Sicherung hin oder her – der Kopf ist die größte Versicherung. „Geiles Gelände, schau mal, wie es da hinunter geht!“ Jetzt findet sie direkt Gefallen an der Gefahr. Die im Kopf mehrfach durchgegangene Choreo (das Topo), findet ihre Bühne. Und dann schiebt sich auch schon das Gipfelkreuz in den Blick.  

Halbzeit der Tour: Am Gipfel des Großglockners

Stolz und Glück sind am Gipfel deutlich zu spüren. Wie es Bergtouren so mit sich bringen, markiert der Gipfel aber erst die Halbzeit der Tour. Antonia kann die Pause nicht genießen, will Im Grunde einfach nur runter, fühlt sic heute deplatziert da oben, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Sie ist froh, dass die Gruppe den Ort verlässt. Der Weg führt ausgesetzt und mit wenig Sicherungsmöglichkeiten durch eine steile Rinne auf bekannteres Terrain: den Gletscher. 

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Die Crew redet Antonia gut zu, leitet und ermutigt sie, sodass keine Müdigkeits- oder Konzentrationsfehler passieren. „Zamreißen jetzt, es hilft ja nichts“, pusht sie sich selbst. Einatmen, ausatmen. In Bewegung bleiben. Der weg ist das Ziel.  

Gemeinsam – vor allem unbeschadet – kommt die Gruppe an der Hütte, am realen Ziel an. Antonia und Eva haben einiges gelernt auf dieser Tour: Vorbereitung schafft Sicherheit; zur Umkehr bedarf es Mut, zum Durchziehen auch; und auf die Crew, auf die ist auch in wackligen Situationen immer Verlass!

Großglockner-Tour – Über die Autorinnen:

Antonia Inkoferer und Eva Herold sind Mitglieder der Community der Munich Mountain Girls. Dort versammeln sich on- und offline an die 15.000 Frauen, die die Liebe zu den Bergen vereint. Sie verabreden sich zu Touren, nehmen gemeinsam an Kursen teil und inspirieren und unterstützen sich gegenseitig. 

Buch:
Mountain Girls – Gemeinsam unterwegs in der Bergwelt – Prestel Verlag: ISBN9 78-3-7913-8729-1