Zugegeben, die Überschrift klingt, als bräuchten Leser:innen ein vorhergehendes Fremdsprachenstudium, aber wir starten ganz von vorne. Wer, warum, wann – und was ist das alles überhaupt?
Beginnen wir von vorne, nicht im Alphabet, sondern arbeiten wir uns an der Überschrift entlang. Es gravelt, wer ein Gravelbike fährt. Dynamisch ähnelt es einem Rennrad, aber statt glatter Reifen ist diese Art von Fahrrad mit Stollenreifen ausgestattet. Das erlaubt Flexibilität: Wir Gravelbiker (ja, ich zähle mich mittlerweile auch dazu) sind nicht auf gut befahrbare Straßen angewiesen wie z.B. Hauptstraßen, sondern fahren auch gerne mal über Stock und Stein durch Wälder und Felder. In einer Haltung, die windschnittig sein soll wie bei der Tour de France. Laien würden sagen: „Hätten ein Rennrad und ein Mountainbike ein Baby, dann wäre das ein Gravelbike“. Weshalb diese Metapher aber bei den Profis keine Begeisterungsstürme auslöst, ist mir ein Rätsel. Doch dazu später.
Kommen wir erstmal noch zum Begriff „Co-Workation“. Ein Kompositum aus der Hölle. Aber: die Zusammenarbeit in Verbindung mit Urlaub – das funktioniert! Eine Co-Workation machen beispielsweise Teams, die im kreativen Bereich neuen Input brauchen. Die fahren dann gemeinsam in ein Hotel, in dem sie Vormittags arbeiten, Prozesse in Gang bringen, Projekte beackern und packen nachmittags dann ihre sieben Sachen zum Wandern, Biken, Klettern oder was auch immer gewünscht ist.
Erst das Vergnügen, dann die Arbeit
Anfang März trudelt eine e-Mail bei mir ein. Eine Einladung zu „Gravel und Co-Workation“ Ende April in Oberbayern. Könnte gut passen, denke ich, denn ich fahre gerne Gravelbike, ich mache gerne Urlaub und arbeite auch gern. It’s a match! Mit nahendem Termin der immer bangere Blick in alle Wetterberichte und -Apps, die ich kenne. Übereinstimmend schlechtes Wetter. Gefällt mir dann nicht mehr ganz so gut, ich bin eindeutig Schönwetter-Bikerin. Am Sonntagnachmittag aber fahre ich doch los. Mein Ziel: Parsdorf bei München, das Hotel Bader.
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Schwedisches Flair im Münchner Umland: Das Hotel Bader in Parsdorf bietet seit 2015 mit seinem holzigen Ambiente helle und freundliche Räumlichkeiten, in denen es an nichts mangelt. 50 Zimmer mit insgesamt 100 Schlafplätzen, zwei Konferenzräume und ein Restaurant sowie eine urgemütliche Lobby und ein Garten machen das Bader zur Vorzeige-Workation-Unterkunft. Nicht weit von sämtlichen ÖPNV-Anbindungen entfernt, schläft es sich im hellen Fichtenholz, dessen Duft das Gebäude allerorts durchzieht, wie im Himmel. Das Frühstücksbuffet lässt keine Wünsche offen und die Kirsche oben auf ist das Personal, das einem wirklich jeden Wunsch von den Augen abliest. Spätestens beim Abendessen, als die Apfelkücherl vom Tischnachbarn wirklich gut aussehen und plötzlich ein zusätzliches Besteck auf dem Tisch liegt, merkt man, welchen Stellenwert die Gäste hier haben. Ansonsten ist es getreu dem Baderschen Motto sehr "Lagom": Von allem genau das richtige Maß.
Ich bin die letzte der Reisegruppe, die eincheckt. Ich bringe meine Sachen ins Zimmer, freue mich über den Geruch der Fichte, der mich im gesamten Gebäude umhüllt und lege mich noch kurz testhalber aufs Bett. Gemütlich! Allerdings ist liegenbleiben gerade nicht drin, wir gehen essen. Also los, ab in die Lobby. Ich schleiche auf die einzige Gruppe zu, die hier unten sitzt. Mit mir sind noch drei Journalisten-Kollegen zur Pressereise angetreten, gendern nicht nötig. Kurz darauf kommen vertretend für die Tourismus Oberbayern noch unsere Kontakte der Agentur dazu – und sie haben Leihgaben dabei. Ich darf (dank meiner geringen Körpergröße) ein Gravelbike von Specialized probefahren. Ich liebe mein eigenes Fahrrad sehr (nicht von Specialized), aber – Holla die Waldfee, ich fühle mich sofort gut auf dem goldenen Leihrad! Los zum Abendessen, gleich mal Furcht und Respekt in den Kollegen wecken („ne, langsam kann ich nicht.“) und dann los in die erste Nacht. Stricksachen hab‘ ich dabei, entsprechend spät wird es dann bei mir auch. Egal.
Da gehts auch ums Graveln: Wie Sara Hallbauer Menschen fürs Gravelbiken begeistert
Dreck! – Or it didn’t happen
Am Montagmorgen ist das Wetter ungefähr so wie Sonntag: Grau, kalt, immer mal wieder ein bisschen nass. Aber wir sind ausgerüstet, zumindest ein bisschen. Vor dem Hotel empfangen uns nicht nur Linnea von der Agentur, sondern auch Fotograf Julian Rohn-Hippold und unser heutiger Fahrradguide Max Marquardt. Max ist Mit-Gründer des Cleat-Magazines, in der Umgebung daheim und kennt sich definitiv aus was Drahtesel aller Couleur betrifft. Am liebsten ist ihm mittlerweile tatsächlich das Gravelbike, aber auch auf dem Rennrad fühlt er sich pudelwohl. Unsere Route führt uns entlang knallgelber Rapsfelder, die vor dem grauen Himmel noch ein bisschen heller leuchten als eh schon, durch den Ebersberger Forst, in dem auch Max schon die ein oder andere Begegnung mit einem Wildschwein hatte („Wenn man hier aufwächst, bleibt das nicht aus“, sagt er) bis zu den Hermannsdorfer Werkstätten in Glonn, wo uns die Kaffee-Spezialisten von Merchant & Friends nicht nur mit famosen Bohnentränken, sondern auch mit einer großzügigen Brotzeit empfangen.
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Die Kaffeerösterei in Glonn auf dem Gelände der Hermannsdorfer Werkstätten gibt es seit rund 15 Jahren – und sie haben immer noch Bock. Ganz besondere Sorten gibt es ebenso wie die "Standards", die für den europäischen Gaumen nicht ganz so experimentell schmecken. Interessant zum Beispiel: Ein Kaffee, der nach Pfirsich schmeckt. Gibts nicht? Gibts wohl! Einfach mal hingehen und sich beraten lassen. Das Team bei Merchant & Friends kennt sich aus und geht auf alle "Kaffeesituationen" genau ein.
Gut wieder aufgewärmt, treten wir die Rückreise an. Rund 25 Kilometer wieder zurück ins Hotel, wir müssen ja alle noch arbeiten heute! Dennoch: Die Füße werden langsam wirklich kalt und sauberer werden wir auch nicht. Das ist es aber, was das Graveln auch ausmacht: Wir kommen zugeschlammt an, der erste Weg führt mich in die Dusche. Langsam wird mir wieder warm.
Und jetzt dieses „Work“ aus „Workation“
Gut für himmeblau, das mitten in der Produktion fürs neue Heft steckt: Arbeiten funktioniert hervorragend hier im Hotel! Ich entscheide mich dafür, mich unten im Restaurantbereich niederzulassen, einfach weil ich da weiter vom Bett entfernt bin, das sehr laut nach mir schreit. Aber hier bin ich produktiv. Ich schaffe wirklich viel und bin am Ende des Tages sehr zufrieden. Das war ein guter Tag: Graveln und Arbeiten. Zum Abendessen treffen wir vier „Reise-„Journalist:innen uns dann im hoteleigenen Restaurant, das nicht enttäuscht. Und wir fällen eine Entscheidung.
Tag Zwei beginnt mit Schnee. Und wir wussten das, alle vier. Daher haben drei von uns beschlossen, am Dienstag nicht zu radeln. Fotograf Julian, Agentur-Beauftragte Linnea und Journalismus-Kollege Julian sind die Harten von uns. Die lassen sich auch von 2 Grad und Schnee nicht abhalten, die ziehen durch. Es geht nach Holzkirchen, zu Specialized, wo wir uns nicht nur von der inspirierenden Atmosphäre in diesem umgebauten Bauernhof anstecken lassen, sondern wo ich mich auch instant in ein High-End Gravelbike verliebe. Schwarz ist es, matt, mit roségoldenem Schriftzug. Hier in Holzkirchen, wo Specialized seit zehn Jahren HR, Marketing und Kundenbetreuug sitzen, wo die Mitarbeitenden ein eigenes Fitnessstudio nutzen können und wenn es zu laut ist auch mal in die Telefonboxen abtauchen können, da treffen wir auch Miriam Hördegen von Tourismus Oberbayern München. Sie gewährt Einblicke, warum wir in Parsdorf sind und warum wir eine Co-Workation machen. Die einfache Antwort: Beim TOM e.V. erschließt man neue Zielgruppen, „wir wollen den Tourismus etwas vom Alpenrand wegziehen“, sagt Miriam. Zeigen, dass auch die weniger touristisch erschlossenen Regionen viel zu bieten haben, vor allem für dienjenigen, die „nebenbei“ noch arbeiten müssen. Und um ehrlich zu sein: Das Radfahren hier hat jede Menge Spaß gemacht! Mehr als Arbeiten, sorry Chef.
Abschließendes Mittagessen
Unser Mittagessen dürfen wir dann im Anschluss im machtSinn in Holzkirchen genießen. Das machtSinn ist ein lokaler Tourismusheld für den TOM e.V: regional, sozial und vielseitig soll es sein. Ein Bistro, eine Eventlocation und ein Bioladen unter einem Dach. Im machtSinn treffen wir Veronika Engel, Vorsitzende des Vereins CoworkationAlps, in dem sich im gesamten Alpenraum Destinationen und Locations zusammengeschlossen haben. In die Vereinsarbeit ist Veronika quasi reingestolpert, über ihre Masterarbeit. Eigentlich ist sie in der Regionalentwicklung tätig. Wenn sie so spricht, fragt man sich, ob man selbst nicht doch noch irgendwas sinnvolles in seiner Freizeit machen sollte. Und dann erinnert man sich an die Ausfahrt durch den Ebersberger Forst und weiß: Graveln ist schon ein guter Freizeitvertreib.