Am 22. Juli hebt sich der Vorhang zur 13. Festivalausgabe des „Nonfiktionale“ in Bad Aibling. Mit dabei: Kino auch Open Air.
Präsentiert werden Werke von Filmemacherinnen und Filmemachern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dokumentarische Lang- wie Kurzfilme – sie alle stehen unter dem Motto „Wort für Wort“ und rücken auf ganz unterschiedliche Weise das gesprochene Wort, den Text oder das Gespräch in den Fokus. Im Anschluss an jede Filmvorführung wird es, wie es bei der Nonfiktionale schöne Tradition ist, Gespräche mit den Macherinnen und Machern des jeweiligen Films geben – komplett analog oder aber via Live-Stream im Kinosaal. Die Vorführungen im Aibvision Filmtheater werden mit der dann zulässigen Publikumsgröße stattfinden.
Open-Air Kino auf dem Bergwerk-Gelände in Bad Aibling
Zusätzlich sind drei kleinere Open-Air-Veranstaltungen auf dem Gelände des Jugendzentrums JiMs Bergwerk in Vorbereitung – so die Wettergötter mitspielen.
Auch spannend:
- Fünf Seen Festival: Der Kino-treue Matthias Helwig
- Zehn Jahre KinoKulturWoche am Salzstadel in Rosenheim
Folgende Filme sind im Open-Air-Kino in Bad Aibling geplant:
22. Juli 2021, 21.30 Uhr:
Barstow, California (76 Minuten)
Inhalt: Eine Tür fällt ins Schloss und wird verriegelt. Die Leinwand eröffnet den Blick auf die Weite der Mojave-Wüste. Aus dem Off beginnt eine Stimme zu erzählen. Im dritten Teil seiner Trilogie “The American West” erkundet Rainer Komers den Ort Barstow in Kalifornien. Die Kleinstadt an der Route 66 ist der Geburtsort von Spoon Jackson, dessen autobiographische Erzählung “By Heart” den inneren Pulsschlag des Films bildet. Jackson kennt den Ort seiner Kindheit auswendig. Ein Ort, der so allerdings nur noch in seiner Erinnerung existiert, seit er 1977 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Komers begegnet Menschen, die von der Jagd nach dem amerikanischen Traum ermüdet sind. Er besucht Jacksons Familie und sucht den Ort des Elternhauses auf. Doch dort, wo es einst stand, finden sich nur noch Wüstensand und einzelne Relikte. Komers Kamera findet eindrückliche, präzise Bilder, in denen sich die Gegensätze überlagern. Schönheit und Verfall, die Weite der Natur und die Enge der Haft. Sie überlagern sich wie die Zeit in Barstow, California, dessen Jetzt in der Vergangenheit lebt.
23. Juli 2021, ab 21.30 Uhr:
Lormen (4 Minuten)
Inhalt: Sabine und Franz Pirker unterhalten sich. Das wäre an sich keiner weiteren Beachtung wert, wären die beiden Eheleute nicht taubblind. Kommunikation ist für sie nur über den Tastsinn möglich. So bedienen sie sich des von Hieronymus Lorm entwickelten Tastalphabets, Lormen, um zu kommunizieren. Tippend, streichend und wischend werden Buchstaben und Syntax in die Handfläche des Partners geschrieben. Julia Daschners Kamera beobachtet die beiden bei einer Unterhaltung. Die Einstellungen des tastenden Gesprächs sind eng, scharfe Lichtkanten betonen Hände und Silhouetten. In kontrastreichem Schwarz-Weiß werden die schnellen Bewegungen der Finger verfolgt, begleitet von überdeutlichem Ratschen und Schaben. Wir verstehen kein Wort, und kommen dem Austausch doch so nahe, dass wir ihn fast auf der eigenen Haut erspüren können.
Herr und Frau Müller (15 Minuten)
Inhalt: Seit seinem Schlaganfall ist Herr Müller gelähmt. Nur noch einen Daumen und ein Augenlid kann er bewegen, Sprechen ist unmöglich. Frau Müller setzt ihn auf, fährt ihn herum und füllt auch mal ein Bier in seine Magensonde. Trotz der Einschränkung führt das Ehepaar – das sich selbst „Familie Sonnenschein“ nennt – einen regen, wie auch liebevollen Austausch miteinander. Sie unterhalten sich über Politik, Benzinpreise und über das, was sie aneinander lieben. Herr und Frau Müller haben ihren eigenen Weg gefunden, miteinander zu kommunizieren. So langwierig oder mühsam es auch sein mag, der Gesprächsfaden reißt nie ab. Mit großer Sympathie und durchaus humorvoll zeigt der Film, dass Sprache einen Weg findet, wenn Liebende sich etwas zu sagen haben.
Neulich 3.0 (14 Minuten)
Inhalt: Ein heißer Sommertag, nichts scheint sich zu bewegen. Nur eine Fliege summt im Hintergrund. Da ploppt auf dem Bildschirm die erste Nachricht auf – und schon entspinnt sich eine dieser gegenwartstypischen Konversationen ohne Gegenüber. „Bin wieder da.“ – „Wollen wir am Freitag zu den Wasserlichtspielen gehen?“ – „Bin jetzt Dammtor.“ Die Unterhaltung über einen Messenger-Dienst ist gespickt von Autokorrekturen, Exkursen und Fehlkommunikation. Inmitten Tausender Menschen schicken Suchende zunehmend verzweifelte Nachrichten in den Äther. Wie kommunizieren wir überhaupt noch mit anderen? Ein amüsiert-nachdenklich stimmendes Fundstück aus dem Alltag.
RIAFN (30 Minuten)
Inhalt: Über allen Gipfeln ist Ruh‘? Von wegen! Der Mensch und sein Vieh kommunizieren über etliche Höhenmeter hinweg, und zwar jeder mit seinen Mitteln. Die Bergler bedienen sich des althergebrachten Riafn, einer Art Lockruf-Sprache, um miteinander in Kontakt zu treten, aber auch um ihre Tiere zu rufen oder zu lenken. Als Antwort bekommen sie von ihren Ziegen und Kühen klangvolles Glockengeläut. Die Grenzen zwischen Archaik, Alltag und einer ganz eigenen Poesie sind in „RIAFN“ fließend. Hannes Lang durchmisst den Klangraum der Berge und komponiert daraus, mittels einer ausgeklügelten Tongestaltung, eine außergewöhnliche, zuweilen dadaistisch anmutende Alpensymphonie vor majestätischer Kulisse.
Wenn das Wetter mitspielt…
24. Juli 2021, 21.30 Uhr:
Der Funktionär (72 Minuten)
Inhalt: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht“- so sang man einst in der DDR. Klaus Gysi, der Vater des Regisseurs, dürfte als aufstrebender Kulturpolitiker im SED-Apparat in das Lied seiner Partei eingestimmt haben. Belohnt wurde er dafür mit einer Karriere, als Verlagsleiter, Kulturminister, Botschafter, Staatssekretär für Kirchenfragen. Gysi war ein Meister des geschickten Taktierens im sozialistischen Apparat, gleichzeitig bewunderte man ihn als Intellektuellen von Format. Knapp 20 Jahre nach dessen Tod nähert Andreas Goldstein sich in einem sehr persönlichen filmischen Essay der Rolle seines Vaters innerhalb des politisch-gesellschaftlichen Gebildes DDR, in dessen Dienst Gysi bis kurz vor der Wende stand. Über zahlreiche Fotos aus dem eigenen Archiv, Filmmaterial aus dem DDR-Fernsehen sowie Aufnahmen aus Ostberlin legt sich sein Kommentartext – subjektiv, scharfsinnig und ohne jede falsche Nostalgie. „Dabei kommt sein produktiv vielfach gebrochener Blick auf den Mann und das untergegangene Land ohne die üblichen Abgrenzungen aus. Das Ergebnis gleicht, wie Goldstein im Film in anderem Kontext einmal sagt, einer höchst aktuellen Flaschenpost aus einer verschwundenen Welt“ (Silvia Hallensleben, epd Film).
Statt Open-Air: Nonfiktionale Bad Aibling zeigt Kino-Filme auch im Netz
Für jene, die die Nonfiktionale nicht live besuchen können, bieten die Veranstalter fast alle Filme im Festivalzeitraum auch die Webseite zum Streamen an. Hier findet Ihr natürlich auch das komplette Programm.
Das Kinderprogramm ist in diesem Jahr ausschließlich online zu sehen.
13. Nonfiktionale: „Wort für Wort“
Film fängt da an, wo Sprache aufhört. Und so ist auch der Dokumentarfilm zunächst ein erzählendes Medium des bewegten Bildes. Die Mittel des Erzählens wiederum sind überaus vielgestaltig. In der Regel kommt hier die Sprache wieder ins Spiel, in Gesprächen mit den Protagonisten, in beobachteten Dialogen oder in Kommentaren. Zuweilen rückt dabei das gesprochene Wort bzw. der Text in den Mittelpunkt und wird zum tragenden dramaturgischen Element.
Mit dem aktuellen Motto Wort für Wort widmet sich 13. Festivalausgabe Dokumentarfilmen, die sich in der Dialektik von Bild und Wort auf die Seite der Sprache, des Textes, des Gesprochenen schlagen und ihre Dramaturgie darauf aufsetzen. Die Spannbreite reicht von filmischen Brückenschlägen zur Literatur, über den vom Erzählerkommentar getragenen Essayfilm bis hin zu Gesprächsfilmen, die sich voll und ganz dem Dialog verschrieben haben.