Regina Huber gibt nie die Hoffnung auf. Und sie will anderen Hoffnung machen. Anderen, die wie sie selbst an Morbus Crohn leiden – einer unheilbaren Darmerkrankung.
Diese Geschichte beginnt mit einem Triggerhinweis. Denn obwohl unsere Hauptperson eine echte Gaudibrezn ist, gehören zu ihrem Leben auch Leid und Schmerz. Ihre chronische Erkrankung hat sie sogar schon einmal ans Aufgeben denken lassen. Wem solche Themen zusetzen oder wen sie retraumatisieren könnten, der lese bitte an anderer Stelle weiter.
Wer noch da ist, darf Regina Huber kennenlernen, geboren am letzten Tag im März des Jahres 1991 und – wie sie es ausdrückt – „diatonisch aufg‘wachs‘n“. Gina (wie sie genannt werden will) spielt dabei zum einen auf das Instrument an, das sie (nach der obligatorischen Blockflöte) etwa ab dem siebten Lebensjahr erlernen durfte, zum anderen auf eine gewisse Ambivalenz hinsichtlich ihres Auftretens und ihrer Vorlieben.
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Zuerst zur Musik: Wenn der leibliche Papa ein „Hardcore-Volkmusikant“ ist, der ein halbes Dutzend Instrumente sowie in der heimischen Blasmusik spielt, kommt die Tochter natürlich nicht aus. Immerhin, Ginchen hatte die Wahl und zog die Ziach der Klarinette vor. Demnächst lässt sie sich eine eigene bauen, von einem Hersteller, dessen Probierinstrument sie tief berührt hat beim Testen. „I hob fast gwoant“, sagt Gina.
Regina Huber: Morbus Crohn, nackte Haut, tiefschwarzer Humor
Bislang spielte sie eher selten öffentlich (eine legendäre Ausnahme bildet die alkoholgeschwängerte Kneipentour mit einem befreundeten Gitarristen), dafür oft und leidenschaftlich privat, mit Papa und Halbbruder in der heimischen Stubn. Doch wer weiß, mit dem maßgeschneiderten Instrument schrumpft ja womöglich das vermaledeite Lampenfieber, dem sie bis dato noch pragmatisch zu Leibe rücken muss: „Mit Schnaps geht‘s“, sagt sie trocken. Die gebürtige Penzbergerin hat ein herrlich gscheades Mundwerk, mit dem sie nicht nur Freunde und Familie amüsiert, sondern auch über 10.000 Fans auf Instagram – mit einem Profil, auf dem sie es schafft (Stichwort Ambivalenz), sowohl viel nackte Haut und tiefschwarzen Humor zu zelebrieren, als auch immer wieder ein ernstes Thema zu beleuchten. Wir kommen gleich dazu.
Blasmusi und Rockkonzert
Für die Balance in der musikalischen Früherziehung sei der Opa zuständig gewesen. Der habe ihr mit seinen Schallplatten die Liebe zum Rock ’n’ Roll eingepflanzt, erinnert sich Gina. Johnny Cash, Elvis Presley, Ted Herold seien in dessen Wohnzimmer gelaufen und gitarrenlastiger Sound ertönt heute lautstark aus den Boxen ihrer Karre (ein restaurierter Volvo VP544, den sie liebevoll „Buckel“ nennt), mit dem sie (Schwede hin oder her) einen doppelten Blickfang auf Rockabilly-Autotreffen abgibt.
Blasmusi und Rockkonzert: Diesen Spagat lebt die 31-Jährige, man könnte sagen, Gina verkörpert beide Welten. Je nach Stimmung schlüpft sie ins Dirndl oder die Lederjacke. Auf den einen Oberschenkel hat sie sich den Räuber Kneissl, auf den anderen den Schmied von Kochel tätowieren lassen, zwei bayerische Volkshelden mit nicht unbedingt astreinem Ruf (um nur zwei von unzähligen Tattoos zu nennen).
Regina Huber: Morbus Crohn, schön mit Narben
Um Ginas Optik (ausnahmsweise, weil sie in diesem Fall tatsächlich eine kleine Rolle spielt) zu vervollständigen: lange, blonde Haare, volle Lippen, ein neckisches Grübchen am Kinn – klar, eine so auffällige junge Frau wurde früh von Fotograf*innen hofiert. Damals wie heute stellt sie sich selbstbewusst vor die Kamera – was spätestens seit diesem tragischen August im Jahre 2012 als bemerkenswert zu bezeichnen ist; und was, sagt Gina, mehr Kraft und Überwindung kostet, als es den Anschein hat. Denn in einer Welt, wo (freilich künstliche) Makellosigkeit an der Tagesordnung liegt, zeigt die Wolfratshausenerin offen und unretuschiert ihre Narben.
Dem Tod von der Schippe gesprungen
Die Nacht, als der Tod anklopft, kündigt sich während eines Flugs von einem Shooting in Hamburg zurück nach München an. Mit regelmäßigen Bauchschmerzen hat sie schon als Jugendliche zu kämpfen, doch diese Intensität war neu. Weil die Schmerzen diesmal nicht nachlassen wollen, kommt Gina in eine Klinik. Norovirus, vermutet man dort, isoliert sie und unternimmt nichts weiter. Die Qualen werden unerträglich. Ihre Mutter holt Gina nach zwei Wochen des Wartens ab und verfrachtet das völlig erschöpfte Mädchen nach Großhadern. Dort eskaliert die Situation.
Drei weitere Tage ohne konkrete Diagnose lassen die Schmerzen so sehr wachsen, dass Gina die Schwester sogar bittet, sie zu erlösen. „I mog nimmer lebn“, sagt sie, „bittet, gebt‘s mir was.“ Da stellen die Ärzt*innen während eines CTs endlich den Ursprung des Martyriums fest: Ginas Blinddarm ist geplatzt, große Teile des Dünndarms schwer entzündet, Stuhl schwimmt frei im Bauch herum, kurzum: da drinnen ist alles septisch. Es geht nun um Minuten. Während die Notoperation vorbereitet wird, rät die Schwester der völlig verstörten 21-Jährigen, sicherheitshalber noch einmal zu Hause anzurufen. Wie die OP ausgehen werde, stehe in den Sternen…
Regina Huber spricht auf Instagram auch über Morbus Crohn
„Wenn i des erzähl, griag i a Ganshaut“, sagt Gina heute – zehn Jahre, fünf weitere OPs und diverse (Schmerz- und Verhaltens)-Therapien später. Die Diagnose lautet: Morbus Crohn, etliche Nahrungsmittelintoleranzen und obendrein das Leaky-Gut-Syndrom. Nach jener ersten Operation muss sie nicht nur ein halbes Jahr mit künstlichem Darmausgang leben, sie muss ihr gesamtes Leben umkrempeln. Den Beruf wechseln zum Beispiel, raus aus dem Friseursalon, hinein in einen Teilzeitjob als Finanzbuchalterin. Mit dem Wissen, woran sie leidet, beginnt zudem ihr Kampf; beginnt das Vorhaben, auch mit dieser unheilbaren, in Schüben auftretenden entzündlichen Darmerkrankung ein fröhliches, freies, halbwegs unbeschwertes Leben zu führen.
Und dazu gehört eben auch, dass sie sehr offen über das „Cröhnchen“ spricht. Auf ihrem Instagram-Profil zum Beispiel, auf dem sie die Fans – schonungslos ehrlich und mit diesem unnachahmlichen Schmäh – teilhaben lässt an ihrem Gefühlschaos, am Auf und Ab von Körper und Seele, wo sie unermüdlich Aufklärungsarbeit leistet. „Freilich, manche dadn vui liaba nur die hoibnackadn Buidl sehen, aber des is mir wurscht“, sagt Gina und grinst.
Hilfe für Betroffene
Andere Betroffene, so die Mission, sollen sich nicht so allein und hilflos fühlen müssen. Gina betätigt sich inzwischen als Botschafterin des Vereins „Lila Hoffnung“, der einerseits das Thema „Darmerkrankungen“ aus der Tabuzone holen, andererseits Herzenswünsche von Kindern und Erwachsenen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa sowie von Patient*innen mit Darmkrebserkrankung erfüllen will.
Wo bekomme ich Hilfe? Welche Ärzte sind spezialisiert? Welcher Behinderungsgrad steht mir zu? Wie lässt sich der Alltag meistern? Gina wäre damals froh gewesen um dieses Wissen. So wurstelte sie sich mithilfe der Mama auf eigene Faust durch die Herausforderungen, die ihre Erkrankung mit sich bringt. Eine davon: Nicht das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl verlieren. Vielleicht sind die seit 2017 wieder verstärkt angegangenen Fotoshootings eine Art Konfrontationstherapie. Gina zeigt dabei gern auch Haut. Doch dabei muss Fotograf*innen klar sein: „Mich gibts nur mit Narbe. Wer die nicht zeigen will, ist raus.“