Unsere tägliche Wurst gib uns heute? Nicht hier oben! Die Wirtsleute dreier vegtarischer Hütten verraten, wie es in den Bergen rund läuft – auch ohne Fleisch.
Wer durch den Floitengrund im Zillertal wandern will, dem sei ein freundlicher und sonniger Tag ans Herz gelegt. Die steilen Felswände, die den Weg umgeben, können an dunkleren Tagen durchaus bedrohlich wirken. In der Sonne ist davon nichts mehr zu sehen. Alles glitzert von der stobenden Gischt der Wasserfälle, die von den Spalier stehenden Felsflanken in die Tiefe herabstürzen. Das Pfeifen der Murmeltiere begleitet Wandernde, die mit großen Schritten und teils auch mithilfe der Hände herabgestürzte Felsbrocken bezwingen. Das Tauen des Permafrostes hinterlässt auch hier seine Spuren, der Kleber, der die Felsen im Inneren zusammenhält, klebt nicht mehr. Den zerklüfteten Gletscher am Ende des Hochtals, das Floitenkees, behält man fest im Blick. Der Weg wird spannender, schmaler und steiler, während um den Floitengrund herum berühmte Zillertaler Berge in den Blick treten: Schwarzenstein, Großer Löffler, Zsigmondyspitze. Aber so hoch hinaus soll der Weg heute nicht führen. Für heute lautet das Ziel: Greizer Hütte.
Vegetarische Hütte Nr. 1: Greizer Hütte
Auf 2.227 Metern über dem Meeresspiegel ist die Luft anders, klarer. Und das Leben, sagen Christian Förtsch und Hailie Ezratty, die die Hütte seit dem Sommer 2023 bewirtschaften, auch ein bisschen entspannter. Die Greizer Hütte gilt nicht nur als schönes Ziel für eine Tagestour, sie ist auch Ausgangspunkt für diverse hochalpine Unternehmungen und nicht zuletzt Ziel einer Tagesetappe auf dem rund acht Tage dauernden Berliner Höhenweg. Sie verfügt über insgesamt 82 Schlafplätze, verzichtet auf W-Lan, Handyempfang ist Glückssache und – eine von den neuen Wirtsleuten eingeführte Besonderheit – es kommt kein Fleisch auf die Teller. Die Greizer Hütte gehört zu den wenigen rein vegetarischen Alpenhütten.
Rund zehn Prozent der Deutschen und rund acht Prozent der Österreicher:innen ernähren sich mittlerweile vegetarisch, zwei bzw. fünf Prozent sogar vegan, sie verzichten also ganz auf tierische Lebensmittel. Für diese Gruppen war das Angebot auf Berghütten bislang schon arg eingeschränkt: Käsespätzle, Kaspressknödel, Salat. Recht viel mehr war da meistens nicht zu holen. Das ändert sich zum Glück langsam – und großen Anteil daran haben ebenso mutige wie visionäre Menschen. Hüttenwirt:innen, die ihre Häuser fleischlos betreiben – mit überwältigender Resonanz, ohne schon zu viel vorwegnehmen zu wollen.
Vegetarismus als Klimabeitrag
Und damit zurück zum Fuß des Floitenkees. Betrachtet man Fotos der Greizer Hütte um 1930, kann man sehen, wie sich die Gletscherzunge um das Gebäude schlängelt. Stellvertretend für viele sogenannte Schutzhütten, die quasi als Basislager zur Besteigung der hohen Berge gedacht waren, wurde auch die Greizer Hütte an das (damalige) Ende des Gletschers gebaut. Mittlerweile beginnt die Gletschertour nicht mehr direkt vor der Haustür, vielmehr muss man ein ganzes Stück latschen, zu manchen Zeiten kilometerweit. Die schmelzenden Eisriesen sind ein Symbol für den Klimawandel – und der spielt bekanntlich eine gewichtige Rolle bei der Frage nach zeitgemäßen Ernährungsformen. Für Christian Förtsch und Hailie Ezratty war er jedenfalls mit ein Grund, die Greizer Hütte zur Vegetarierin umzuformen. Beide hatten als Saisonkräfte bereits Erfahrung auf Hütten gesammelt, unter anderem auf der Gjaidalm am Dachstein, und ernähren sich selbst fleischlos. Für das deutsch-amerikanische Ehepaar bedeutet eine rein vegetarische Speisekarte nur Vorteile: einfachere Lagerung und Transport, (teilweise) niedrigerer Materialeinsatz, weniger oder zumindest gut kompostierbarer Abfall. Zusätzlich erweist sich die Logistik als deutlich einfacher, denn es muss keine strenge Kühlkette für Fleisch und Fisch eingehalten werden und die Lagerung funktioniert weniger energieintensiv. Alles Punkte, die einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Vegetarische Hütte Nr. 2: Die Neue Regensburger Hütte
Rund 52 Kilometer Luftlinie weiter westlich und 60 Meter höher, auf 2.286 Metern, thront die Neue Regensburger Hütte im Stubaital. Hier ist Familie Tomaselli am Ruder – ebenfalls seit der Saison 2023 und ebenfalls rein vegetarisch. Für Christian Tomaselli bedeutet vegetarisches und veganes Essen ein „back to the roots“, ein zurück zu den Wurzeln. In früheren Zeiten habe es schießlich auch nicht tagtäglich Fleisch gegeben, sagt der Hüttenchef. Natürlich habe Fleisch seine Berechtigung, aber früher war es halt etwas Besonderes. Es gab den Sonntagsbraten und nicht jeden Morgen Salami oder das tägliche Schnitzel. Ob der Mensch nun initial eher Fleisch- oder Pflanzenfresser war: Tomaselli ist stolz, mit der Neuen Regensburger Hütte die erste rein vegetarische Schutzhütte Tirols zu bewirtschaften.
Auch er tätigt seine „Einkäufe“ – genau wie Hailie und Christian drüben im Zillertal – per Materialseilbahn. Und auch Tomaselli, der eigentlich aus dem Gschnitztal stammt, ist eher ein Quereinsteiger in Sachen Hüttenmanagement: Vor seiner Karriere als Hüttenwirt war er als Personalreferent angestellt. Der Quereinstieg eint ihn mit den Zillertaler:innen: Christian hatte einsehen müssen, dass er im Archäologie-Studium nicht in ferne Länder reisen und Knochen ausgraben würde, sondern sich eher bei theoretischen Fragestellungen zu Tode langweilen würde. Hailie brachte zwar Gastro-Erfahrung mit, ursprünglich war sie aber zum Snowboarden nach Österreich gekommen. Die beiden haben sich bei der Saisonarbeit auf einer Hütte kennen- und lieben gelernt.
Ganz anders verhält es sich auf der nördlichen Seite der Alpen, im schönen Allgäu. In Pfronten betreibt Silvia „Silli“ Beyer schon seit 2015 die Hündeleskopfhütte als rein vegetarische Ausflugshütte. Der Zustieg nicht so weit, die Wege weniger steinig, die Luft: auch gut, aber nicht ganz so klar wie 1.000 Meter höher. Sillis Hütte liegt – im Vergleich zur Greizer oder Neuen Regensburger – auf fast schon bescheidenen 1.180 Metern über Null. Scheint ja ein Spaziergang zu sein! Silli bringt ihre Einkäufe selbst mit dem Auto nach oben und es gibt bei ihr keine Sommer- oder Wintersaison. Silli muss das ganze Jahr über ran. Oder besser: Sie darf. Denn für Silli ist das Hüttenleben genau richtig.
„Ich will hier heroben sein, bis i tot umfall‘.“
Die Hauswirtschaftsmeisterin machte mal ein Praktikum auf einem Demeterhof in der Nähe (von dem sie heute übrigens Gemüse bezieht). So konnte sie Erfahrungen im Gemüseanbau sammeln. Man war dort froh, dass jemand da war, der melken konnte. Denn Silli ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Bereits während der Meisterschule hat sie nebenbei auf einer Alm gearbeitet und den Hüttenwirt samt seiner Familie an ihren zwei schulfreien Tagen in der Woche vertreten. Damals hat sie eine Strichliste geführt, wie viele Nachfragen nach vegetarischen oder veganen Angeboten hereinkamen. Jeden Tag kam eine erkleckliche Anzahl Striche zusammen, der Wunsch nach fleischlosen Alternativen war nicht zu ignorieren. Sie sagte sich: „Wenn ich mal was eigenes mache, dann nur vegetarisch!“
Und das, obwohl sie im Allgäu groß geworden ist, in den Bergen, auf einem waschechten Bauernhof, wo man die fleischlose Ernährung schon als etwas Exotisches empfand. 25 Milchkühe lebten dort mit den Bauersleuten, die nah dran waren am Vieh, auch die Kinder. „Man hat den Viechern in die Augen gschaut und glei gwusst, was los is“, sagt Silli. Doch irgendwann kam unweigerlich der Punkt, an dem sich Silli Fragen stellte. Im zarten Alter von zwölf Jahren wollte sie wissen, was eigentlich mit den Kälbchen passierte, die immer weggegeben wurden. Dass die Kleinen erst zum Mästen und dann zum Schlachten gefahren wurden, gefiel ihr gar nicht. Sie beschloss, ab sofort kein Fleisch mehr anzurühren. Falls es dazu ein Vorbild brauchte, dann war das ihre Oma. Die lebte nämlich nach der Waerland-Methode: Viel Rohkost, Pellkartoffeln, Getreidebrei, kein Zucker, kein Mehl – und vor allem kein Fleisch. Für Silli ist vegetarische Ernährung also (wie für Christian Tomaselli auch) so etwas wie der „Normalzustand“.
Vegetarische Hütte Nr. 3: Die Hündeleskopfhütte
Fleisch ist kein Luxus mehr, wie es früher noch der Fall war. Fleisch ist alltäglich geworden. Wir Menschen müssen nicht mehr jagen gehen. Wir bekommen Fleisch leicht zugänglich präsentiert, teilweise sogar als kostengünstigstes Nahrungsmittel im Supermarkt. Dabei ist die Herstellung teuer – vor allem im ökologischen Sinne. Die Deutsche Umwelthilfe ließ Anfang 2023 schätzen, wie hoch die Kosten sind, die bei der Fleisch- und Milchproduktion entstehen, weil zum Beispiel Nitrate und Gülle in Böden und Grundwasser sickern. Erschreckendes Ergebnis: 22 Milliarden Euro. Die Umwelthilfe sagt: Ein Liter Milch verursacht 29 Cent Extra-Kosten, ein Kilo Rindfleisch sogar mehr als 10 Euro. Wie lassen sich also die teils extrem niedrigen Preise für Fleisch erklären? Massenproduktion lautet die ebenso einfache wie grausame Antwort. Tierquälerei.
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So unterschiedlich die Hintergründe der Wirtsleute, so einig sind sie sich beim Konzept: fleischlos, das wissen wir mittlerweile. Dazu kommt, dass alle drei größten Wert darauf legen, so viele regionale Produkte aus heimischem Bio-Anbau zu beziehen, wie möglich. Mit herkömmlichen Cashews funktioniert das beispielsweise nicht, das sollte klar sein. Silli hat diesbezüglich einen guten Plan: Sie arbeitet mit Projekten zusammen, wo der Schwerpunkt auf sozialer Gerechtigkeit liegt und die Cashewbauern auch bei weniger üppiger Ernte fair bezahlt werden. Auch das ist ein Beitrag zu einer besseren Welt.
Alles anders auf vegetarischen Hütten?
Wie groß die Vielfalt an fleischlosem Essen sein kann, überrascht die Hüttengäste immer wieder. Zumindest die, die im Vorfeld nicht Bescheid wissen, was bei Greizer und Neuer Regensburger Hütte durch die Lage an diversen Höhenwegen öfter passiert als gedacht. Andererseits suchen sich viele Wandernde ihre Ziele extra wegen der Speisekarte aus. So kommen zur Greizer Hütte zum Beispiel regelmäßig ein Großvater mitsamt Enkeltochter. Treibende Kraft: Die Enkelin, die wegen der veganen Möglichkeiten hinaufwill und den Opa mitnimmt. Der habe das Angebot inzwischen zu schätzen gelernt, freuen sich Halie und Christian. Viel wichtiger als Fleisch sei den meisten Menschen, dass die Gastgeber:innen nett sind – und dass es einen guten Kaiserschmarrn gibt, sagt Christian Förtsch mit Augenzwinkern. „Den dreht sich jeder gern rein!“
Für das Wirtspaar der Greizer Hütte fühlt sich der Beruf fast an wie eine Elternschaft. Am Anfang haben sie sich eingeredet, dass es bei ihnen ganz anders laufen wird, als bei schon etablierten Wirtsleuten – „dass wir genug Zeit haben, um auch mal eine Tour zu gehen oder uns zur Erholung zurückziehen; dass wir unsere Mitarbeitenden fair bezahlen und normale Arbeitszeiten ermöglichen. Letzteres konnten wir umsetzen. Allerdings auf Kosten von Ersterem. Wir sind einfach sieben Tage die Woche von früh bis abends beschäftigt, wie alle anderen Hüttenwirte auch.“
Vor allem für Hailie muss das ja fast ein Kulturschock gewesen sein? Schließlich kommt sie aus Florida, wo die Sonne vom Himmel brennt und „der größte Berg eine künstliche Wasserrutsche im Volcano Bay in Orlando“ ist. Doch Halie hat sich schnell aklimatisert, ihre alte Heimat war ihr eh „zu heiß, zu flach und zu feucht“. Nun, das kommt in den Alpen eher selten zusammen. Wobei: auch da oben steigen die Temperaturen, wir haben den Gletscherschwund ja schon beklagt. Eine vegetarische oder vegane Ernährung kann einen Beitrag leisten, den Klimawandel wenigstens zu verlangsamen. Diese drei Hütten gehen mit gutem Beispiel voran und Gäste – Ehrenwort – auch ohne Schnitzel gestärkt nach Hause!