„Weil Senf nicht Wurst ist“, setzt die Baumann Senf & Soßen Manufaktur auf kreative Rezeptideen, regionale Rohstoffe und gute, alte Handarbeit. Apropos: Hat da etwa noch jemand seine Hände im Spiel?

War es Schicksal, glückliche Fügung oder gar der liebe Gott? Man weiß es nicht. Was man weiß: Im Jahre 1958 schickten sich zwei zu dem Zeitpunkt völlig unabhängige Lebenswege an, in eine Spur zu münden. Und diese unbekannte Macht, die da zwei Menschen sanft in eine gemeinsame Richtung stupste, die scheint bis heute immer wieder wohlwollend einzugreifen, um das Unterfangen auf Kurs zu halten.

Doch fangen wir von vorne an: Da wäre auf der einen Seite eine junge Dame namens Maria Baumann. Die arbeitet in den späten 1950er Jahren nicht nur als Küchenhilfe im Bayerischen Hof in München, sondern ist auch mit einem außerordentlichen Geschäftssinn gesegnet. Dieser siebte Sinn veranlasst die resolute Rosenheimerin, ein Senf-Rezept – sagen wir – zu „stibitzen“, es nach eigenem Gusto zu verfeinern und den daraus resultierenden „Baumann ́s original bayerischen Hausmachersenf“ als geschütztes Warenzeichen eintragen zu lassen. Was sie bei sich Zuhause im Waschkeller anrührt, packt sie in den Kofferraum ihres Wagens und beliefert damit die heimischen Metzgereien, Wirtschaften und Lebensmittelgeschäfte. Wer fortan im Raum Rosenheim Senf sagt, meint Maria Baumanns süße Senfkreation.

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Gerhard Garnreiter kommt zu Baumann Senf & Soßen

Zur gleichen Zeit, rund 70 Kilometer nordöstlich von Rosenheim, erblickt Gerhard Garnreiter das Licht der Welt. Mit Senf hat der Burghausener Bursche zunächst wenig am Hut. (Wenngleich er heute beteuert, dass es früher, am heimischen Esstisch, selbstverständlich zur Brotzeit immer den Baumann‘s gegeben hat!) Später, als Erwachsener, wird sich Garnreiter lange Jahre darum kümmern, was sich unter besagtem Hut abspielt. Bei Wella, Spezialist für Haarpflegeprodukte und Friseurbedarf, reüssiert er als „National Key Account Manager“, verantwortlich für Edeka und Rewe. Was sich, Thema Fügung oder Schicksal, schließlich als Glücksfall erweisen soll. Denn: 2003 schnappt sich der amerikanische Konsumgüter-Riese „Procter & Gamble“ die Wella AG – jedoch ohne Garnreiter. Der steht damit zwar erst einmal „auf der Straße“, hat allerdings etwas deutlich Wertvolleres als Haarspray in der Tasche: ausgezeichnete Kontakte in den Lebensmittelgroßhandel.

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Einstieg in die Baumann Senf-Produktion

Von dort bekommt er schon bald den goldenen Tipp. Wie die frohe Kunde lautete? Garnreiter solle doch, steckt ihm einer seiner ehemaligen Ansprechpartner, mit der Geschäftsführerin der Baumannschen Senfmanufaktur sprechen. Hans Baumann, ihr Mann und Sohn von Firmengründerin Maria Baumann war bei einem Autounfall verunglückt und Ulrike Baumann hatte den Betrieb in Eigenregie weiter geführt. Kinder hatte das Ehepaar keine. Nun liebäugelte die Witwe mit dem Ruhestand, was allerdings die Aufgabe des Traditionsbetriebs bedeutet hätte.

Wir schreiben das Jahr 2005, als Gerhard Garnreiter in die Senfproduktion einsteigt, vorerst nur für 100 Tage, zum Reinschnuppern, doch weil es so gut funktioniert, recht schnell als neuer Inhaber. Aus dem ursprünglichen Ein-Frau-Betrieb im Rosenheimer Ortsteil Happing ist mit der Zeit eine regional bekannte Firma geworden, mit gewachsenem Sortiment. Zum Senfklassiker, dem original bayerisch süßen Hausmachersenf, sind zum Beispiel der „original Urbayerische Hausmachersenf mit Meerettich“ und der „Schmankerlsenf 2 in 1, süß & scharf“ hinzugekommen.

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Das gallische Dorf der Süßsenf-Szene

„Baumann‘s Senfmanufaktur“ ist heute unterhalb des Weißwurstäquators das gallische Dorf der Süßsenf-Szene. Eine Branche, in der es einen unangefochtenen Marktführer gibt, ein paar Konzerne, die halt auch süßen Senf im Sortiment haben, quasi der Vollständigkeit halber – und nicht zuletzt Familie Garnreiter, die sich mit kluger Taktik eine Nische erobert hat und tapfer verteidigt.

Um dahin zu kommen, wo sie heute sind, mussten sie zunächst umziehen. Raus aus der Stadt, aus den beengten Räumlichkeiten mitten in einem Wohngebiet. Nur, wohin? Wieder bekommt Garnreiter die Lösung wie auf dem Servierteller präsentiert. In Kirchweidach im Landkreis Altötting gibt ein Darmputzer seine Tätigkeit auf. Von dessen Wursthäuten zu Baumann Senf ist es thematisch nur ein Katzensprung, also bezieht die Senfmanufaktur kurzerhand die freigewordenen Hallen. Ein Schritt, der sich gleich in mehrfacher Hinsicht als Segen erweist.

Am neuen Standort haben die Senfmacher deutlich mehr Platz, sie wohnen nur wenige Kilometer entfernt und nicht zuletzt liegen in der Nachbarschaft landwirtschaftliche Betriebe, mit denen Garnreiters schnell Partnerschaften eingehen. „Garnreiters“, die Mehrzahl bedeutet übrigens: Neben Papa Gerhard rührt von nun an auch Sohn Michael als gleichberechtigter Geschäftsführer die Senfspezialitäten in den 100-Liter-Fässern, die sie „Banzn“ nennen. Im Betrieb arbeiten zudem die Ehefrauen Anna Maria und Daniela und weitere drei Mitarbeiterinnen. Ein waschechter Familienbetrieb bleibt Baumann‘s Senfmanufaktur also auch unter der Garnreiterschen Führung.

Senfbrauen fast wie früher

Apropos „rühren“: Das Wort zeigt, dass es nach wie vor – trotz sanfter Automatisierung an manchen Stationen – hauptsächlich handwerklich zugeht. „Im Grunde hat sich nicht viel verändert seit Maria Baumanns Zeiten“, erklärt Michael Garnreiter. Während die Firmengründerin in ihrer Waschküche in einer Zinkwanne und einem Holzofen den Hausmachersenf hergestellt hat, nutzen Vater und Sohn Garnreiter Fässer und Strom zum Senfbrauen. Doch nach wie vor wiegen sie das gelbe beziehungsweise braune Senfpulver von Hand, sie rühren die Senfmaische mit einem Rührstab und sie „stacheln“ ihren Senf mit glühenden Eisenstangen, um ihm einen natürlichen Karamellgeschmack mitzugeben (während andere Hersteller stattdessen Aromastoffe zuführen). Ja, das „Stacheln“ kennt so mancher Bayer von winterlichen Bieren, denen man durch den Glühvorgang eine karamellige Note verleiht. Die steckt auch in jedem Glas Baumann Senf.

Gibt’s auch: „Baumann Bayerisch Ketchup GQB“

Damit der gebraute Senf in den Fässern gleichmäßig auskühlt und die „baumännischen“ Qualitätsvorgaben erfüllt, muss er mit Muskelkraft in regelmäßigen Abständen gestampft werden, bis die nötige Reife zur Abfüllung erreicht wird. Obendrein werden regionale Zutaten, vom Senf bis zu Paprika und Tomaten, verarbeitet. Moment: Tomaten im Senf? Gott bewahre, natürlich nicht. Garnreiters übertreffen sich zwar immer wieder selbst mit überraschenden Senfkreationen – Bier-, Bärwurz-, Enzian- oder gar Whiskeysenf haben die Kirchweidacher schon fabriziert – die Tomaten landen aber im „Baumann Bayerisch Ketchup GQB“. Genau genommen ist nämlich aus der Senf- inzwischen auch eine Soßenmanufaktur geworden. Und aufmerksame Leser*innen ahnen es sicher schon: Das Glück der Tüchtigen war der Familie auch dabei hold.

Der Ketchup also: Der darf, als einziger seiner Art, wegen der bayerische Rohstoffe das Siegel „Geprüfte Qualität Bayern“ tragen, und auch wenn Garnreiters es selbst nicht so deutlich formulieren, betätigen sie sich bei der Produktion nebenbei als wahre Lebensmittelretter. Und das kam so: Am anderen Ende von Kirchweidach liegt der Betrieb eines gewissen Josef Steiner. Der hat 2013 ein ganz besonderes Gewächshaus gebaut. Anders als herkömmliche Gemüsebauern produziert er darin klimafreundlich – mittels Erdwärme und Sonnenenergie. Was jedoch auch ein Klimaschützer wie Steiner nicht verhindern kann, sind gewisse Vorgaben des Handels. In den Läden landet nur „genormtes“ Gemüse. Wehe, eine Paprika sieht unförmig aus; wehe, die Tomaten sind schon allzu reif! Solche Früchte landeten gemeinhin im Abfall oder in der Biogasanlage. Obwohl sie astrein schmecken.

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Kooperation mit regionalen Betrieben

„Das geht gar nicht!“, sagten sich Garnreiters und gingen die Kooperation mit Steiner ein. Aus den zuvor entsorgten Tomaten und Paprika machen sie nun bayerischen Ketchup. Neben der Nachhaltigkeit und der Wertschöpfung in der Region hilft bei der Vermarktung die natürliche Knappheit der Rohstoffe. Zwischen November und Februar werden die Gewächshäuser geräumt und neue Pflanzen eingesetzt. In dieser Zeit gibt es keine Belieferung. „Das ist wie beim Mon Cherie, die gibt‘s auch nicht das ganze Jahr“, sagt Gerhard Garnreiter augenzwinkernd. Gut lachen haben aber nicht nur Garnreiters. Von ihrem Bestreben, sämtliche Rohstoffe möglichst regional zu beziehen, profitiert auch die heimische Landwirtschaft (und letztlich Umwelt und Verbraucher*innen).

Nehmen wir zum Beispiel das Senfmehl: Früher musste die Manufaktur Senfkörner aus Kanada oder der Ukraine kaufen, um es in Mecklenburg-Vorpommern mahlen zu lassen. Ein genauso teures wie unökologisches Vorgehen. Dann lernte das wissenshungrige Vater-Sohn-Gespann bei einer Betriebsbesichtung den Lamprecht Toni von der Ölmühle in Garting kennen. Der mahlt mittlerweile das Senfmehl immer zeitnah zur Verarbeitung. Und mit seiner Hilfe konnten Garnreiters zudem einige Landwirte aus dem Umkreis überzeugen, Senf anzubauen. Was sich für die entsprechenden Erzeuger*innen nur als Vorteil erweist. „Senf“, betont Gerhard Garnreiter, „ist ein guter Bodenaufbereiter und wird als Zwischenfrucht angebaut.“ Die Landwirte eggen das Senfstroh und die Senfwurzeln nach der Saison ein und profitieren doppelt.

Keine Kompromisse in Sachen Qualität

Ausnahmen von der Regionalität? Gibts vor allen Dingen für eingefleischte Fans von Baumann‘s Senf und Soßen. Wenn das legendäre KaDeWe in Berlin den original bayerisch süßen Hausmachersenf aus Kirchweidach in sein Sortiment aufnehmen will, dann sagen die Senfbrauer natürlich nicht „nein“. Und wenn ein Rosenheimer Metzger, der vor vielen Jahren auszog, um in Australien das Metzgerhandwerk zu betreiben, darum bittet, ihm eine Fuhre vom Urbayerischen (der mit der Meerrettich-Note) nach Down Under zu schicken, Herrgott, dann schicken Garnreiters natürlich eine Palette auf die Reise. Päpstlicher als der Papst muss man nicht sein – außer bei der Qualität! Da gehen Garnreiters keine Kompromisse ein. Die vielen DLG-Goldmedaillen bescheinigen, was sich der Betrieb auf die Fahnen geschrieben hat: „Baumann‘s“, das ist „himmlischer Senfgenuss“.