Uli und Corinne Ernst haben es gewagt: Das Powerpaar, das bereits einen Biobauernhof, einen Hochseilgarten und ein Feld-Labyrinth betreibt, ist unter die Winzer*innen gegangen. Auf die Idee in Utting am Ammersee Wein anzubauen, sind zuvor nur die Römer gekommen.

Vorsichtig biegt der Winzer einen nach oben stehenden Trieb herunter, damit der Weinstock wieder ins Gleichgewicht kommt. Mit geübter Hand zupft er überflüssige Reben ab. Noch sind die Trauben winzig klein, erinnern an unreife Brombeeren. „An einem Bogen dürfen höchstens 19 Reben wachsen, damit die Trauben optimal versorgt werden“, erklärt der Weinbauer und blinzelt unterm blankgeputzten Himmel gegen die Maisonne. Die jungen Rebstöcke stehen auf einer nach Süden ausgerichteten Anhöhe, von hier aus geht der Blick auf den See. O, bella Italia!

Aber nein! Wir befinden uns gar nicht am Lago di Garda, hier wächst auch kein Lugana. Es ist das Westufer des Ammersees und die Weintraube, die der Uttinger Bio-Landwirt Uli Ernst auf 10.000 Quadratmetern kultiviert, nennt sich Sauvignac. Der großen Beharrlichkeit des 50-Jährigen ist es zu verdanken, dass die Kreuzung aus Sauvignon Blanc, Riesling und einer wilden, pilzwiderstandsfähigen Rebsorte aus Ostsibirien in Bayern angebaut werden darf. Vor seiner Intervention fehlte die Traube, die sich für niederschlagsreiche Regionen besonders eignet, weil sie weniger für (Falschen) Mehltau anfällig ist, auf der Liste der im Freistaat erlaubten Rebsorten.

Wein vom Ammersee: Berge mit Seeblick

Ulis Frau Corinne hält eine der 0,5-Liter Flaschen Sauvignac in Händen, in der der fruchtig-frische Weißwein der Ammersee Winery hellgelb schimmert. Das Etikett auf dem schlanken Fläschchen mit dem stilisierten Segelboot und der Hügelkette mit Kloster Andechs gibt Ortskundigen ausreichend Hinweis auf die Herkunft des trocken ausgebauten Weins. Den Ritterschlag hat er von Weinsommelière und Master of Wine Romana Echensperger erhalten, die im benachbarten Germering wohnt. Sie schreibt: „Das Bukett ist komplex, intensiv fruchtbetont wie würzig. Es zeigen sich Aromen von Limetten, süßer Netzmelone, Passionsfrucht und Stachelbeeren aber auch Anis, Kleegras und Cassis-Strauch. Am Gaumen zeigt sich ein raffiniertes Spiel zwischen mittelkräftigem Körper, Fruchtschmelz, frischer Säure und Spritzigkeit. Ein vielschichtiger Weißwein ohne Schwere aber mit viel Struktur.“

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Von Ulis Vision, einen Teil des Familienbauernhofes in Weinberge zu verwandeln, war Corinne, eine fröhliche Anpackerin, schnell begeistert. Inzwischen ist der erste Hektar mit 5000 Stöcken bepflanzt, die nächsten 10.000 Quadratmeter sind in Planung. Für mutige Ideen sind die Eltern von zwei Buben weit über Utting hinaus bekannt. Fast noch als Teenager hat sich das Powerpaar beim Leistungsturnen in München kennengelernt. „Die Testphase haben wir dann übersprungen: Das Zusammenziehen, der Umbau auf dem Bauernhof meiner Schwiegereltern, die Hochzeit, das passierte alles zur gleichen Zeit“, sagt Corinne, die aus Stuttgart stammt, in Gröbenzell aufgewachsen ist und heute alle Uttinger Turner zwischen sechs und 21 Jahren trainiert.

Corinne und Uli Ernst ist stolz auf die erste Lese des Ammersee-Weins

Ulrich Ernst dagegen ist ein Ammersee-Urgewächs. Bis 1625 lässt sich der Stammbaum seiner Vorfahren, die schon immer am Westufer Landwirtschaft betrieben haben, zurückverfolgen. „Ich bin wahnsinnig heimatverbunden, ich liebe die Region, die Erde“, sagt er. Lange bevor das Paar 2010 den elterlichen Milchviehbetrieb übernahm und in einen Biohof umwandelte, brachen sich Unternehmungs- und Gestaltungslust der beiden Bahn. Als erstes Standbein sicherten sich Uli und Corinne 1999 die Pacht von 13 Blumenfeldern rund um den See. „Wegen des Verkaufsstarts des Weins haben wir die Blumen in letzter Zeit etwas vernachlässigt. Die brauchen jetzt ein wenig Liebe“, sagt Uli, der gleich Zinnien und Chrysanthemen pflanzen wird, bevor am Wochenende das Mähen in den Feldern ansteht.

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Standbein zwei, das Labyrinth „Ex Ornamentis“ im Uttinger Freizeitgelände, das Familie Ernst ebenfalls seit 1999 betreibt, braucht derzeit keine weitere Pflege. Sonnenblumen, Hanf, Malve und Mais dürfen jetzt einfach wachsen, bis sich ab Ende Juli vor allem Kinder nur allzu gern in dem wilden Irrgarten verlieren werden. Corinne muss heute im Hochseilgarten Ammersee nebenan einspringen. Eine Mitarbeiterin ist ausgefallen. Zwei neue wollen eingewiesen, die April-Löhne überwiesen, Emails beantwortet, werden, bevor um 12 Uhr die angekündigte Schulklasse aus Geretsried anrollt. Seit 2004 ist das Gesamtangebot der Abenteuer Ammersee GmbH mit dem Hochseilgarten in Form eines Schiff es komplett. „Klettern ähnelt übrigens sehr dem Turnen“, findet Uli. Schwindelfreiheit vorausgesetzt.

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Ob die zwei selbst immer wissen, wo ihnen der Kopf steht? Denn da gibt es ja auch noch das Ernstsche Kerngeschäft – die Herstellung und der Verkauf von hochwertigen Bioprodukten. Unter anderem die Eier von 900 Hennen, die über die satten Wiesen gackern. Neben den Bruderhahn-Eiern, Mehl, Ölen und Nudeln ist im Verkaufspavillon an der Schondorfer Straße 22 seit Ende April nun auch der Sauvignac für 9,50 Euro erhältlich – 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Nach knapp vier Wochen waren von den anfänglich gut 5000 Flaschen allerdings nur noch 1.500 übrig. „Die Nachfrage ist immens“, freut sich Corinne. Anscheinend wissen ihre Kunden die Mühen zu schätzen, die die Weinbauern vom Ammersee auf sich genommen haben.

Langer Traum vom Winzersein

Gegenwind blies nämlich aus vielen Richtungen, seit Uli Ernst vor 15 Jahren vom Winzersein zu träumen begann. Erst war Weinanbau außerhalb angestammter Weinbaugebieten wie Rheinhessen oder Franken gar nicht gestattet. 2015 aber, gleich nachdem das betreffende EU-Recht gelockert worden war, ergatterte der gut vernetzte Landwirt das Anbaurecht fürs Ammersee-Westufer. Dann dauerte es noch mal drei Jahre, bis die Wunschtraube Sauvignac genehmigt wurde. Dazu der eigene Anspruch, ohne synthetische Pflanzenschutzmittel den Schwierigkeiten zu trotzen, die die hohen Niederschlagsmengen in der Region mit sich bringen. Doch konnten Uli und Corinne auch auf kräftigen Rückenwind zählen – auf die Unterstützung vieler tatkräftiger Helfer*innen bei der Rebenpflege, vor allem aber durch Martin Fischborn aus Rheinhessen, Spross einer alten Winzerfamilie, ausgestattet mit einem Generationenwissen im Ausbau und modernster Analysetechnik im Weinkeller.

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Fischborn hat die Ammerseetrauben nach Ulis genauen Vorstellungen zu dem Wein gekeltert, der „so genauso viel gute Laune verbreitet wie Corinne und ich“. Geologisch gesehen wären der Föhn zu nennen, der dem Alpenvorland 15 zusätzliche Sonnentage schenkt, und vor allem die Bodenbeschaffenheit im Endmoränengebiet: „Der hohe Calciumanteil des Kalkalpenbodens hilft, Minerale zu lösen, die dann für die bunten Aromen des Sauvignac sorgen“, sagt Uli, während er vom Wein- zum Römerberg schlendert. Denn der ist von entscheidender Bedeutung für den Neuwinzer.Eben an dieser Stelle muss einst die Villa Rustica gestanden haben – die Fundamente des zugehörigen Badehauses am Fuße des Hügels hat man bereits ausgegraben. Auf zehn sich ab hier südlich erstreckenden Hektar Land haben die Römer bis vor 1.500 Jahren Überschüsse für die in Augsburg siedeln-den Soldaten und Beamte angebaut. „Und darunter war auch Wein“, wie Ulis Nachforschungen ergeben haben. Womit, genau genommen, sein Sauvignac nicht der allererste Ammersee-Wein ist, sondern die Fortsetzung einer lang vergessenen Tradition.