„Hiesig“ – das bedeutet: von hier, aus der Gegend. Mit ihrem Laden Hiesiges im Christandlhof bei Palling wollen zwei Frauen regionales Kunsthandwerk unterstützen. Die Grenzen lassen sie glücklicherweise fließen.

Ein oberbayerischer Vierseithof, die ersten Mauern im Jahr 1749 hochgezogen. Den Blickfang des Innenhofs bildet zweifelsohne der kunstvolle Bundwerkstadel, der sofort ins Auge springt, wenn man durch das große Tor tritt, das Wohn- und Nebengebäude trennt. Die das Glück haben, da wohnen zu dürfen, auf dem Christandl Hof im Land- kreis Traunstein, auf halber Strecke zwischen Tachinger See und Palling, geben eine bunte WG ab, zusammen- gewürfelt aus zehn Leuten, darunter auch eine kleine Schar Kinder. Die dürften sich tagtäglich im Paradies wähnen, wie an einem Ort, den sonst Bilderbücher beschreiben, mit dem wilden, weitläufigen Garten vor
dem Fenster, durch den – unter den Ästen alter, knorriger Apfelbäume – ein Haufen Hühner stolziert.

Christandlhof bei Palling – ein Kleinod

Die Erwachsenen erfreuen sich obendrein an einer Kellersauna, einer Werkstatt, einem Hobby- und einem Musikzimmer (von dem noch die Rede sein wird). Nun könnte sich diese Gemeinschaft in ihrem denk- malgeschützten Kleinod einigeln und der Welt da draußen vor den altehrwürdigen Mauern die kalte Schulter zeigen – stattdessen hat sich eine Bewohnerin zusammen mit einer Freundin entschlossen, den Christandl Hof teilweise für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Heimische Produkte gibt’s auch in Aschau: Handgemacht mit Liebe

Im restaurierten Gewölbe des früheren Kuhstalls präsentieren Christina Fedeli und Laura Gehricke in ihrem gleichnamigen Hofladen „Hiesiges“. Kunterbuntes, wirklich außergewöhnliches Kunsthandwerk aus der Region. „Schuld“ an dem Projekt: Ein Scherz unter Müttern, in die Runde geworfen während einer Kennenlernveranstaltung im Kindergarten.

Mütter mit guten Ideen

Ein Alptraum ist dieses obligatorische Ritual zu Beginn eines Kindergartenjahres für viele Eltern. Mit guter Miene zu peinlichen Spielen gilt es zu offenbaren: Wer bin ich, wo komme ich her, was mache ich, wie heißt mein Kind und warum überhaupt? Richtig qualvoll können sich solche Veranstaltungen für „Zuagroaste“ anfühlen, für Fremdlinge inmitten eines verschworenen Kreises aus Freund*innen und Bekannten – auf dem Land wahrlich kein seltenes Szenario. In dieser Rolle steckten vor rund vier Jahren auch Fedeli und Gehricke. Die eine (Fedeli) im Bayerischen Wald aufgewachsen und frisch aus München in den Chiemgau gezogen; die andere (Gehricke) zwar direkt aus Palling stammend, doch wer als Kind und Jugendliche größtenteils außerhalb unterwegs ist, weil die nächste Montessori-Schule halt in Waging am See liegt, die schließt im Heimatort naturgemäß nicht viele Bekanntschaften, die bis in die Gegenwart halten.

Von Wien über Berlin nach Lampertsham

Hinzukommt: Nach dem Studium in München (Modemanagement) wagte sich Gehricke noch weiter weg, nach Berlin und Wien, wo sie für große Modelabels (und dementsprechend weiterhin weniger an der Integration dahoam) arbeitete – bis es der jungen Mutter schließlich zu viel wurde. Zu viel Zeit, die sie dem Job widmete statt der Familie; zu viel Oberflächlichkeit in einer Branche, die Gehrickes Verständnis von einem vernünftigen Umgang mit Mensch und Natur mehr und mehr zuwieder- lief. Also packte sie Kind und Kegel und machte sich vom Acker, soll heißen, sie kehrte zurück zu den Äckern, Wiesen und Wäldern aus der Kindheit, zog in ein Häuschen im Wald – und erlebte im Kindergarten schon bald jenes schicksalhafte erste Aufeinandertreffen mit Christina Fedeli.

„Warum machen wir nicht einfach zusammen einen Laden auf?“ Mit diesen – zu dem Zeitpunkt, schwört Fedeli, nur scherzhaft gemeinten – Worten verankerte sich die Niederbayerin in Laura Gehrickes Gedächtnis. Die Heimgekehrte hatte während besagter Vorstellungsrunde im Kindergarten gerade verlauten lassen, im Moment keinem Beruf nachzugehen, sondern sich ganz der Aufgabe als Mutter zu widmen.

Hiesiges Christandlhof Palling – die Ladeneröffnung

Fedeli nutzte die Gunst der Sekunde, um das Eis zu brechen – sowohl zwischen den beiden Frauen als auch gegenüber der anwesenden „Dorfgemeinschaft“. Nicht, dass die alteingessenen Mamas und Papas abweisend gewesen wären und eine Auflockerung dringend vonnöten, überhaupt nicht! Es muss also eine Art prophetische Vision gewesen sein, die der 28-Jährigen so spontan über die Lippen kam. Sie war kurz zuvor mitsamt Partner und Söhn chen auf den Christandl Hof gezogen und nichts lag der Projektmanagerin ferner als eine Ladeneröffnung. Hatte sie doch genug zu tun mit der Betreuung sportsozialer Projektein der Landeshauptstadt. Daneben kümmerte sie sich darum, eine WG zusammenzutrommeln, die den riesigen Hof mit Leben und Gemeinschaft füllen sollte. Doch dann kam das zweite Kind. Dann kam Corona. Dann klopfte Gehricke an das Hoftor.

„Für tolle Ideen schnell zu begeistern“

Den gebührenden Lorbeerkranz für das offensichtlich vorzüglich funktionierende Konzept setzen sich die beiden Gründerinnen heute gegen- seitig auf den Kopf, wenn sie die Regale mit „hiesigen“ Keramiken, Drechslerarbeiten, Holzbildhauerei- en, Naturkosmetik oder handgewebten Teppichen bestücken und gefragt werden, wem es denn nun zu verdanken ist, dass aus diesem Scherz im Kindergarten wirklich ein gemeinsamer Laden wurde.

Denn weder blieben die zwei Mütter in Kontakt, noch verfolgte vorerst die eine oder die andere den Plan. So viel zumindest steht fest: Gehricke juckte es als Erste in den Fingern. Mit dem Kleinen im Kindergarten gewann sie ja schließlich Zeit. Zeit, sich eine neue Tätigkeit zu suchen. Sie entwickelte das Konzept einer mobilen Kunst- handwerks-Plattform. Einen Wagen wollte sie herrichten, mit dem sie von Ort zu Ort, von Markt zu Markt gezogen wäre und die Produkte regionaler Hersteller angeboten hätte. Die Traunsteiner Wirtschaftsförderung hatte schon Unterstützung zugesagt. Dann kam Corona. Dann kam der Lockdown. Dann fiel ihr diese Frau vom Christandl Hof wieder ein.

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Ich bin für tolle Ideen schnell zu begeistern“, sagt Fedeli und lacht. So einfach kann das manchmal sein.

Gehricke wurde kurz nach ihrem „Vorsprechen“ Fedelis Geschäftspartnerin, der Kuhstall zum schmucken Laden. Dessen Verkaufsfläche ist gar nicht mal so groß, in wenigen Schritten sind die Regale abspaziert, ist der Holztisch umrundet – trotzdem sollte man Zeit mitbringen.

Zur Stärkung gibts Snacks und Getränke

Zum einen, um in Ruhe stöbern und staunen zu können und sich von den fleißigen „Kunsthändlerinnen“ erklären zu lassen, welche Schätze sie da aufgetan haben: Das Geschirr von Sebastian Pertl zum Beispiel, mit den liebevollen Malereien; das Steinzeuggeschirr der Antworter Künstlerin Mela Ilse, das gedreht und mit Feldspatglasur versehen bei 1.240 Grad im Elektro-Ofen gebrannt wird, in sanften, erdigen Tönen; die pechschwarzen Küchenbretter des Schreiners Justin von Kotzebue, der die japanischen Techniken „Shou Sugi Ban“ beziehungsweise „Yakisuig“ anwendet, mit der man Holz haltbar und widerstandsfähig macht, indem man es ankokelt (also karbonisiert), danach abbürstet und zu guter Letzt einölt; die Holzbildhauerin Pia Eisenhut, die mit Motorsäge, Klüpfel und Schnitzeisen aus groben Stämmen filigrane Skulpturen formt; oder der Landshuter Keramiker Dennis Demand, der sich dem Kapselbrand verschrieben hat und mithilfe von Materialien wie Gräsern und Blättern, Kaffeesatz, Orangenschalen, Algen, Salz oder Holzspänen spektakuläre Effekte auf die Scherben zaubert, die – daher die Bezeichnung Kapselbrand – in einer Tonkapsel ins Feuer kommen.

Dieser Demand, die junge Münchner Keramikerin Alina Neumeier oder die Kufsteinerin Mariella Uygun-Marschitz (die natürliche Massageöle für Kinder produziert und den passenden Vorlesestoff zur „fabelhaften Kinderapotheke Yaelle“ gleich mitliefert), zeigen, dass der Begriff des „Hiesigen“ auf dem Christiandlhof bei Palling nicht dogmatisch interpretiert wird.

Handwerk muss gelernt sein

„Das wichtigste Kriterium“, sagen die zwei Inhaberinnen von Hiesiges im Christandlhof bei Palling, „ist vielmehr, dass unsere Anbieter ihr Handwerk wirklich gelernt haben.“ Denn die Recherche habe leider gezeigt, dass sich in der Gegend (und darüber hinaus) zwar eine ganze Menge Meister*innen ihres Faches tummeln, viele ihre Berufung aber nur nebenher betreiben oder gar umschulen müssen. „Wer ein tolles Handwerk gelernt hat, der muss doch in Dreiteufelsnamen davon leben können!“, finden Fedeli und Gehricke. Mit ihrem Hofladen wollen sie einen Teil dazu beitragen, dass dies wieder mehr Kunstschaffenden gelingt.

Nun wissen die beiden aber auch, dass der Mensch ein träges Tierchen ist und womöglich zusätzliche Anreize braucht, um hinaus zu fahren ins lauschige Lampertsham. Und damit kommen wir zu dem weiteren, noch ausstehenden Grund, warum ein Besuch am Christandl Hof schon mal zum Tagesausflug geraten kann: Zum Sortiment gehören auch köstliche Naschereien und Getränke.

Lampertsham/Palling: Hiesiges Kulturzentrum?

Im Winter lässt sich ganz vorzüg- lich über die nahen Feldwege spazie- ren, durch verschneite Wäldchen, vorbei am nebelverhangenen Weiher, um sich zurück am Hof die kalten Hände an einem Tässchen Glühwein oder den ganzen, durchgefrorenen Leib an der Feuerschale zu wärmen. Wenn man Glück hat, bekommt man sogar ein Gratiskonzert zu hören. „Zur WG gehören ein DJ, eine Pianis- tin, eine Cellistin – und vor kurzem haben wir einen Chor gegründet“, erzählt Fedeli. Die Proben finden al- lesamt im völlig zu Unrecht als „La- ger“ titulierten Raum direkt neben dem Laden statt. Wer weiß, ob sich der Christandl Hof nicht noch zum hiesigen Kulturzentrum entwickelt.