Maria Frisch ist den Tieren auf ihrem Hof innig verbunden. Um diese Liebe weiterzugeben, bietet sie Wanderungen mit Ziegen an.
Sturer Bock, dumme Ziege, alte Zimtzicke. Es gibt den Ziegenbart und den Geißenpeter, in den sozialen Medien gerne auch die Bergziegen – und bei noch längerer Recherche stößt man auf viele weitere, von den wiederkäuenden Hornträgern inspirierte Begriffe. Leider oft negativ behaftet, werden sie den aufgeweckten Tieren gar nicht gerecht! Ziegen gelten als verspielt, sozial, Feinschmecker (dazu später mehr) und jedes Exemplar hat einen eigenen Charakter. Eine von Maria Frischs Ziegen zum Beispiel mag beim Melken nicht in den Melkstand. Stattdessen braucht sie Streicheleinheiten und Körperkontakt.
Die „Stirnwaffenträger“, eine Untergruppe der Paarhufer, sollen bereits vor mindestens 10.000 Jahren zu Haus- und Nutztieren gemacht worden sein und damit zu den ältesten domestizierten Wildtieren gehören. Menschen schätzten schon früh nicht nur die Milch, sondern auch das Haar (Mohair und Kaschmir), das Leder und – je nach Region – das Fleisch.
Auf ihrem Hof in Wonneberg beherbergt Maria Frisch eine weitere Art: „Wanderziegen“. Die 68-Jährige hat ihre Hausziegen-Gruppe vor rund acht Jahren sozusagen befördert. Mit „richtigen“ nomadisch leben Wildziegen haben die natürlich nichts zu tun. Was sollte Ziege oder Mensch auch dazu bewegen, dieses malerische Fleckchen Erde zwischen Traunstein und Waging zu verlassen? Die saftigen, grünen Wiesen und die schattigen Wälder; das alte Moor in der Nähe, aus dem sich eine ansässige Brauerei Brennstoff gestochen hat und wo jetzt Insekten fröhlich herumsurren. Von hier fortzugehen, wäre geradezu blödsinnig.
Mit dem Käse fing es an
Zurück zu den Ziegen. Die besitzt Maria seit rund 15 Jahren. Milchziegen waren der Einstieg in die Welt der Boviden. Und alles nur wegen Sepp Daxenberger. Der hat damals, vor der Jahrtausendwende, den Waginger Bauernmarkt ins Leben gerufen. Wer kommen wollte, durfte kommen. Und Maria kam – mitsamt ihrem Käse. Damals war der Hof noch eine klassische (Kuh-)Milchwirtschaft, die schon die Eltern betrieben und an die einzige Tochter Maria übergeben haben. Den Käse habe sie damals eigentlich nur für die Familie gemacht. Mit ihrem 50-Liter-Topf stand sie in der Küche, erzählt sie, und fertigte jeweils fünf Laibe Käse. Als sie vom Waginger Bauernmarkt hörte, war sie sich erst unsicher. „Schee warad‘s scho“, hat sie sich gedacht, „aber getraut hab ich mich nicht so ganz.“ Bis in die Woche vor dem ersten Markt hinein sollte es dauern, dass sie sich entschied, sich doch hinzutrauen. Ein Griff zum Telefon, die Nummer vom Landratsamt gewählt und letzte Infos eingeholt. Die Anforderungen klangen machbar, also stapfte sie los und lieh sich einen Pavillon aus. Mit Hilfe einer Freundin schnitt sie ihre fünf Käselaibe in verkaufsfertige Stücke, verpackte und kennzeichnete sie. Auf dem Tisch, der ihren ersten Markstand markierte, hat sie die Probierstücke feinsäuberlich ausgelegt. Sogar 28 Jahre nach dieser gelungenen Premiere ist die Bäuerin noch ergriffen, wenn sie erzählt, was dann passierte: „Um elf ist der Markt losgegangen, um zwölf hatte ich keinen Käse mehr. Können Sie sich vorstellen, was da in einem los ist?“ Sie scheint immer noch ein wenig verwundert, dass die Leute ihren Käse so mögen.
„Hast Du auch Ziegenkäse?“
Diese Bestätigung kam damals wie gerufen. Zwei Jahre zuvor waren ihr der Hof, die Landwirtschaft, die Arbeit über den Kopf gewachsen. Es war ihr alles zu viel. Sie habe den Hof ja ursprünglich gar nicht gewollt, sagt sie heute, als wäre es eine Randnotiz. Aber als Einzelkind habe man sie damals nicht gefragt. Es sei völlig unstrittig gewesen, dass sie die elterliche Landwirtschaft zu übernehmen habe. Heutzutage kaum mehr vorstellbar. Da würden junge Leute auf die Barrikaden steigen, wenn sie ihren Traumberuf nicht ausüben dürften! Marias Traumberuf war Krankenschwester. Im Alter von 38 Jahren war sie es allerdings, die an einen Punkt gelangte, an dem sie Hilfe brauchte. Der Gedanke, weitere zwanzig Jahre etwas tun zu müssen, worauf sie eigentlich keine Lust hatte, ließ sie morgens nur noch schwer aus dem Bett kommen. Nach einem mehrwöchigen Klinikaufenthalt fasste sie zunächst wieder ein wenig neuen Mut – dann kamen Sepp Daxenberger und der Markt. Eine Wiedererweckung.
Der Weg zum Ziegenkäse
Käse zu produzieren und zu verkaufen, zeigte sich nach dem fulminanten Auftakt, das war absolut Marias Ding. Sie stellte sich auch in Traunstein auf den Markt, weitere Standorte folgten schon bald. Märkte wurden zu ihrer Welt. Die öffneten sperrangelweit eine Tür, die viele Jahre geklemmt hatte. Zusammen mit einer Schulfreundin, die ebenfalls Käse verkaufte, legte sich Maria einen Verkaufswagen zu, so konnten sie sich die Marktwochen aufteilen. In der einen Woche war Maria dran, in der nächsten konnte sie sich ausruhen. Und dann kam noch eine Initialzündung: Die Leute fragten plötzlich nach Ziegenkäse.
Als sich diese Nachfragen häuften, fackelte Maria nicht lang. Sie hatte ihr ganzes Leben in engem Kontakt mit Tieren verbracht, warum sollte sie keine Ziegen am Hof aufnehmen? Im rheinischen Kevelaer kaufte sie sich nicht nur vier Exemplare, sie absolvierte dort beim Bauern auch gleich einen Kurs über Ziegenhaltung. Sollten sich schließlich wohlfühlen, die possierlichen Paarhufer! Altersbedingt schickte Maria nach und nach die Milchkühe in den Ruhestand, um sich letztlich ausschließlich auf Ziegen zu konzentrieren. Drei Kühe leben noch auf dem Hof, quasi als Pensionisten, ganz ohne Verpflichtungen.
Eine Idylle, nicht nur für Ziegen
Aus den anfangs vier Tieren wurden recht schnell mehr, wie es eben so läuft, wenn man der Natur ihren Lauf lässt. Und der Ziegenkäse wurde auch mehr, in allen Variationen. Hartkäse, Weichkäse, Frischkäse mit Aprikose, mit Kräutern, herrlich duftend und geschmacklich eine Offenbarung. 100 Liter Ziegenmilch verarbeitet Maria mittlerweile pro Woche. Das klingt nach viel, aber sie empfindet das Käsen als halb so wild. Auf Märkte stellt sie sich mittlerweile nicht mehr, auch ihre frühere Verkaufspartnerin hat aufgehört. Aber den Käse kann man immer noch kaufen. Entweder aus vertrauensvollen jüngeren Händen, oder am Selbstbedienungshütterl unterhalb vom Hof an der Straße nach Töfenreut.
Mittlerweile lässt Maria die Ziegen auch nicht mehr decken. Es kommen also keine Geißlein auf die (Hof-)Welt. Warum? Anders als Kühe brauchen Ziegen keinen jährlichen Nachwuchs, um Milch zu geben. Einmal reicht vollkommen aus; und da drei von Marias Ziegen (und Maria, empathisch wie sie ist, gleich mit) ganz schlechte Erfahrungen bei der Geburt gemacht haben, beschloss Maria, das den Tieren nicht mehr antun zu wollen. Das ist anstrengend, das zehrt die Tiere aus. Ja, folglich nimmt die Milchleistung im Winter merklich ab, aber dafür geht es den Ziegen gut. „Der Deal lautet: wenn die Ziegen keine Milch mehr geben, dann hör ich auch auf“, sagt Maria. Mit den Ziegen hat sie das Abkommen geschlossen, wohlgemerkt.
Offensive gegen Angst vor Tieren
Der Ziegenhof von Maria Frisch entwickelte sich schnell zu einer Art Attraktion in der Gegend, in der hauptsächlich Kühe landwirtschaftlich eine Rolle spielen. Vor rund acht Jahren trudelte die erste Anfrage einer Schulklasse aus der Gemeinde herein. Ob sie einmal vorbeikommen dürften und sich anschauen, wie das alles funktioniere? Zu dem Zeitpunkt verbrachten ein Hund von Bekannten und zwei Esel ihren Urlaub bei Maria und ihrem Mann Hans. Sie sagte der Schulklasse trotzdem zu, und als die Kinder dann da waren, ist Maria aufgefallen, dass viele von ihnen Berührungsängste mit den Tieren zeigten. Dass Kinder so großes Unbehagen spüren, wenn sie mit Tieren zusammen sind, das dürfe doch wohl nicht sein, sagte sie sich. Als ein sehr findiger Mensch entwickelte sie noch am gleichen Tag eine Idee: Sie begleitete die Kinder zurück in den Ort, mitsamt den Eseln und dem Hund im Schlepptau. „Da habe ich gemerkt, dass allein beim gemeinsamen Gehen die Angst nachlässt, dass das was ganz besonderes ist“, erzählt Maria heute.
Erste zögerliche Annäherungen
Ein paar Kilometer reichen, schon wagt sich das erste Kind vor und sucht die Berührung mit einem Tier, ein anderes eifert nach und schon entsteht ein Flow. Ein paar Wochen später hat Marias Enkelin Vroni Geburtstag gefeiert und es waren viele der Kinder zu Gast, die schon mit der Schule da waren. Die anfänglichen Hemmungen waren schon so gut wie abgebaut und manche, die sich zunächst nicht hingetraut hatten, ritten mit einem Mal sogar auf den Eseln. Unglaublich, was in dieser kurzen Zeit passiert war! Der Gedanke beschäftigte Maria länger, bis sie schließlich mit Ihrer Idee der Ziegenwanderung zur Tourist-Info Waging spazierte, ihren Plan erläuterte und die Verantwortlichen einlud, sich das mal anzuschauen.
Die Ansprechpartnerin in der Gemeinde, Eva Bernauer, war gleich begeistert und bestärkte Maria in ihrem Vorhaben. „‚Des machst!‘ hat die gleich zu mir gesagt. Also hab ichs gemacht.“ Seitdem bietet Maria Ziegenwanderungen an, mit einer fantastischen Brotzeit im Anschluss. Selbstgemachter Ziegenkäse inklusive.
Wandern mit Moritz
Die Wanderziegen haben ein eigenes Gehege, das sie sich mit Schafen und Minishetlandponys teilen – und sie sind völlig verrückt nach den Spaziergängen. Liegt möglicherweise am köstlichen Grünzeug, das sie an den Wegesrändern finden. Der erste Schritt in eine erfolgreiche Wanderung besteht darin, mittels Bürste und Streicheleinheiten eine Beziehung aufzubauen. So haben wir bei unserem Besuch Moritz kennengelernt, der sich beim Abbürsten ganz selig ans Bein lehnte. Doch der gemütliche Eindruck täuscht. Sobald es losgeht, ist Moritz nicht mehr zu halten. Sein gewaltiger Appetit treibt ihn von links nach rechts, er saust nach vorne, bremst abrupt ab, weil er neue Kräuter entdeckt hat, und wir kommen ehrlich gesagt leicht ins Schwitzen.
Eine Sache ist beim Wandern mit Ziegen ganz wichtig: Loslassen können. Denn wenn die gehörnten Kollegen erst einmal loslaufen, gibt es kein Halten mehr. Die vielen Führleinen unterschiedlicher Wandersleut bergen Potenzial für großes Chaos. Also lieber die Hand öffnen und Maria mit ihrem lautstarken „mecker, mecker, mecker“ die Haudegen wieder zusammentrommeln lassen. Die Pause danach, der selbstgemachte Käse, das Radler, das Brot und das Gefühl, gerade etwas wirklich Naturverbundenes erlebt zu haben, diese Verbindung zu Moritz und irgendwie auch zu den anderen Ziegen, das macht diese Wanderung zu etwas ganz Besonderem.
Hoffest für Hedi
Aber Maria mag nicht nur Tiere, sie mag auch die Menschen. So sehr, dass sie am 20. Juli ein Benefiz-Hoffest für eine Frau aus der Gemeinde veranstaltet. Zwei Jahre jünger sei die als sie selbst, erzählt Maria, aber seit 22 Jahren nach einer Hirnblutung halbseitig gelähmt. Das jüngste von drei Kindern kennt die Mama nicht anders. Das bewegt Maria so sehr, dass sie beschlossen hat, zu helfen. Die Hilfsbereitschaft der Ortsgemeinschaft macht sie sprachlos. Essen, Getränke, Musik, Glücksrad- und Tombola-Gewinne sowie diverse Programmpunkte wie Kutschfahrten, Theater oder Oldtimerfahrten stehen auf dem Programm – für das Maria keinen Cent investieren muss. Sie hat einfach gefragt, Vieles wurde ihr auch einfach angeboten. „Wenn ich mir bewusst mache, was da gerade los ist, dann läuft‘s mir schon wieder eiskalt den Rücken runter“. Ab 15 Uhr gehts los mit Kaffee und Kuchen.
Was wird aus dem Hof, wenn sie mal nicht mehr kann oder will? Gehören tut die Landwirtschaft schon der Tochter, die ist allerdings Musiklehrerin, der Schwiegersohn Arzt. Die beiden werden das Ganze wohl nicht übernehmen. Im Stillen hofft Maria darauf, dass nach einer Phase der Verpachtung vielleicht ein Enkelkind übernimmt. „Es muss ja kein Ziegenhof sein“, sagt Maria. Vielleicht Pferde? Oder etwas für Menschen mit Behinderung? Sie habe einen sehr schönen Platz bekommen und versucht, etwas draus zu machen. Wäre doch schade, wenn so ein Ort leerstünde oder verkümmere!
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