In der Werft im heimischen Garten wagt sich der Flintsbacher Felix Dudek an die Restauration alter Segelboote.
Eine Werft, würde man meinen, liege natürlicherweise am Wasser. Ein Schiff zu bauen, um es dann erst meilenweit transportieren zu müssen, ehe man es ins angestammte Element auswildern kann, das wäre doch ein unpraktisches Unterfangen. Nun versteckt sich zugegebenermaßen der sogenannte Hawaii-See hinter einer, die Nord-West-Flanke des Dudekschen Grundstücks säumenden, Baumreihe; und auf der gegenüberliegenden Seite, nur gute 500 Meter entfernt, passiert der Inn den Standort. Doch was nach Wellenreiten klingt, entpuppt sich als putziger Plantsche-See; und zwischen Fluß und dem einstigen „Vorreiterhof“ am Rande von Flintsbach am Inn schlängelt sich heutzutage die Autobahn vorbei.
Vorreiterhof für die Schiffer
Der Hof geht bis auf das Jahr 1400 zurück und firmierte, solange der Inn als vielbefahrene Handelsroute diente, als Pferde-Umspannstation. Es war eine Zeit weit vor der Industrialisierung, dementsprechend mussten lebendige PS die Schiffe flussaufwärts schleppen – ein ermüdendes Geschäft. Der Vorreiterhof war eine von vielen „Raststätten“, an denen die sogenannten Schiffleut‘ wieder „Frischfleisch“ vor ihre Plätten spannen konnten. Heute gelangen die Waren per Zug und Lkw von A nach B, den Inn treiben nur mehr von Unwettern ins Wasser gerissene Äste hinunter – und vor dem Vorreiterhof parkt ein Jeep statt eines Gespanns. Immerhin, auf gewisse Weise bewohnen mit Familie Dudek immer noch „Schiffer“ das altehrwürdige Gehöft mit dem weitläufigen Garten voller knorriger Obstbäume und eben – man reibt sich verwundert die Augen – einer waschechten Werft (wenn auch nur mit Trockendock).
Auch spannend: SUP am Chiemsee – Flanieren auf dem Wasser
Die Werkstätte ist das Refugium von Felix Dudek, der mit Frau und zwei Kindern die eine Hälfte des Wohnhauses belegt, während in der anderen die Eltern leben. „Und der Herr Papa“, sagt Felix schmunzelnd, habe ihn auch zum Segeln genötigt. Genötigt, weil es ihm als Bub zuerst regelmäßig schlecht geworden sei auf dem schaukelnden Schiff. Noch heute graue es ihm vor Dampfern oder Fähren. Kurios, wenn man bedenkt, dass das Vater-Sohn-Gespann im Laufe der Jahre an unzähligen Regatten teilgenommen, dass Felix in seinem eigenhändig restaurierten „Flying Dutchman“ namens „Lotte“ Wellenberge auf dem Mittelmeer bezwungen hat. „Wenn du selbst segelst, ist es überhaupt kein Problem“, sagt der WM-Teilnehmer achselzuckend.
Felix Dudek segelt seit fast 20 Jahren
Jene Lotte hat inzwischen gute 50 Jahre auf dem Buckel. Felix segelt seit fast 20 Jahren auf dieser flotten Jolle, der man ihr Alter nicht ansatzweise ansieht. Prachtvoll parkt sie auf der linken Seite der Dudekschen „Werft“, das Mahagoni-Furnier funkelt in der durchs Fenster spitzenden Sonne. Das Häuschen im linken hinteren Eck des Gartens diente dereinst – bevor der Hof ans Trinkwassernetz angeschlossen wurde – zum Schutz des Brunnenschachts. Heute hält Felix hier in jeder freien Minute seine Lotte in Schuss. Und nicht nur das: Obendrein restauriert er in die Jahre gekommene Liebhaberstücke. Gerade haucht er einem hundert Jahre alten Holzschiff wieder Leben ein, das er einem Hamburger Sammler – man kann wohl sagen – mühevoll abgeschwatzt hat.
Der stolze Hanseate habe das geschichtsträchtige Gefährt nämlich zuerst nicht aus der Hand geben wollen. Felix konnte ihn schließlich mithilfe am Chiemsee geborgener, alter Holzmasten „bestechen“, die jemand im Begriff war zu zersägen und zu entsorgen. Felix rettete das altehrwürdige Material und brachte es gen Norden – für den sturen Bootsbauer Beweis genug, dass der Oberbayer kein Sprücheklopfer, sondern ein ehrlicher Seemann war. Und ist. Doch wie kommt ein studierter Geologe auf die Idee, an historischen Booten herumzuhantieren?
Vom Meister Wolfgang Sagert gelernt
„Ganz einfach“, sagt Felix: „Ich wollte segeln, hatte aber keine Kohle.“ Hätte er die ganzen Arbeiten bezahlen müssen, die damals notwendig waren, um Lotte zu dem Flitzer zu machen, der sie heute ist, hätte das viele tausende Euro verschlungen. Der Flintsbacher bekniete einen am Chiemsee ansässigen Bootsbauer, ihm beizustehen. Auch der erkannte den Willen und die ehrliche Zuneigung des damaligen Studenten zu Booten und erklärte sich bereit, Felix´ kaputten Kahn zwar nicht selbst zu erneuern, dem Bittsteller aber zu zeigen, wie es geht. Wolfgang Sagert heißt der Mann, ein wahres Urgestein der hiesigen Segler- und Bootsbauer-Szene. Dem „Lehrling“ fallen ausnahmslos warme Worte zu diesem Mann ein, der eine Art Mentor geworden ist. Ohne die anschauliche Expertise jenes Meisters würde Felix vermutlich daran scheitern, dieses wundervolle Wrack wieder seetüchtig zu machen, das neben Lotte aufgebahrt liegt.
Anfangs bot das Schiff ein erbarmungswürdiges Bild: Die Planken vermodert, die Dichtungen verrottet, alles löchrig und verzogen. 400 Stunden hat der Flintsbacher schon gesägt, geschliffen und gehämmert. Anders als heute, wo Carbon- und Glasfaserteile verklebt werden, saßen anno dazumal sicher mehrere Männer tagelang im Rumpf und schlugen tausende Kupfernieten ins Eichenholz. Auch ihretwegen ist diese Restauration obendrein eine Detektivarbeit.
Felix kauft die Kupfernieten in Hamburg
Solche originalgetreuen Kupfernieten, die kann man ja nicht einfach im Baumarkt kaufen. Vielmehr führte der Weg wieder nach Hamburg, ehe Felix zum Hammer greifen konnte. Und luftgetrocknete Eiche (nur die reißt oder verzieht sich nicht) wächst – hahaha – auch nicht auf Bäumen. Doch der Aufwand lohnt sich. „Die wussten damals einfach, was sie tun“, schwärmt Felix. Die Genetik dieser zigarrenförmigen Schiffe, die erzeuge pure Schnelligkeit. Und optisch sei das eh ein Eyecatcher. Die Bauweise erlaubt es zudem, wie bei einem Bausatz einzelne Passagen einfach auseinanderzunehmen, schadhafte Teile auszutauschen oder zu reparieren, und das Ganze dann wieder passgenau einzusetzen. Wobei „einfach“ natürlich eine Untertreibung vom Feinsten darstellt. Total entkernt und demnach aller stützenden Elemente entledigt, gibt sich der Schiffsrumpf weich und elastisch. Wenn Felix nur eine Planke erneuert, verschiebt sich im Grunde das gesamte Konstrukt. Wieder und wieder muss er also einmessen, was bei einer Länge von siebeneinhalb Metern zur Sysiphosarbeit wird.
Doch der überzeugte Bootsretter erlaubt sich keine Nachlässigkeit! „Ich habe hier auch eine historische Verantwortung“, sagt das Mitglied im Simsseer Segel- und Ruderclub. Die früheren Eigner sind fast vollständig dokumentiert. Felix liegen historische Fotos vor, die den Weg des Schiffes nachzeichnen. Auf Überladung hinweisende Brüche im Material am Heck lassen darauf schließen, dass die schöne Scholle in den letzten Kriegstagen womöglich als Fahrzeug für Absetzbewegungen genutzt wurde. Kurzum: Die alten Planken atmen Geschichte. Und die will Felix möglichst akurat erhalten. „Ich stelle mir ab und zu vor, dass in hundert Jahren wieder so ein Verrückter das Schiff in der Reißen hat. Wenn ich jetzt nicht ordentlich arbeite, denkt der sich: Wer zur Hölle hat da so krumm genagelt?!“ Die neuerliche Jungfernfahrt soll spätestens in zwei Jahren stattfinden. Bis dahin fließt an der kleinen, Flintsbacher Werft vorbei noch viel Wasser den Inn hinunter.