Das Label „Gottseidank“ kennen alle, die klassisches Trachtengewand schätzen – den Nostalgiker, der hinter den Kollektionen steckt, nur wenige. Höchste Zeit, das zu ändern!

Fotos: Andreas Jacob, Gottseidank, Hittenkofer

„Er war ein Punker und er lebte in der großen Stadt …“ Wer in den 1980er Jahren aufgewachsen ist, hat sofort den Beat in den Ohren. Falco: „Rock me Amadeus“. Bis heute der einzige deutsch-sprachige Nummer-1-Hit in den US-Billboard-Charts. Der Künstler selbst ein Sinnbild des Jahrzehnts: Exaltiert, exzentrisch und vorlaut auf der einen, von Selbstzweifeln, Zukunftsängsten und Weltschmerz geplagt auf der anderen Seite.

Überbleibsel der Widersprüche jener Zeit scheinen bis heute in Jörg Hittenkofer zu schwelen wie kleine Glutnester in der Grillkohle. Gern wird er das nicht lesen, dieser großgewachsene Kerl, der Gründer und kreative Kopf des Trachtenlabels „Gottseidank“, weil da zugegebenermaßen eine Prise Interpretation drinsteckt. Er will seine „Idee von Tracht“, die Identität seiner Marke aber nicht interpretiert, sondern verstanden wissen! Dieses Verständnis seiner Philosophie: wenn er könnte, würde er es glatt abfragen, ehe er ein Teil an jemanden verkauft.

Gottseidank: Bahnbrechende Kollektionen von Beginn an

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Doch wir sind erstens keine Kund*innen, zweitens soll es in diesem Porträt weniger um diese von Beginn an bahnbrechenden Kollektionen gehen (obwohl die zweifelsohne einen Wendepunkt im Thema Tracht markiert haben, als Hittenkofer vor gut zehn Jahren erstmals den Markt aufmischte mit seinen ersten, gerade mal fünf Dirndln). Heute und hier soll es um den Menschen gehen; den Geschäftsmann, den Macher, den Designer, den Chef, den Vater – und der kämpft (Beweisführung folgt) manch innerlichen Konflikt aus, so selbstbewusst, sturköpfig und zielstrebig er auf den ersten Blick auch wirken mag.

Ein Händedruck wie ein Schraubstock. Wir treffen Hittenkofer in der Produktions-Stätte des Labels, die nebst Ladengeschäft im Münchener Stadtteil Milbertshofen liegt, in der Schleißheimer Straße, in einem zwar sichtlich, doch auf charmante Weise gealter-ten Jugendstilgebäude, das zuvor eine Bank beherbergte. Eine Tatsache, die der jetzige Mieter mit einem süffisanten Lächeln quittiert. Um diese Süffisanz zu verstehen, muss man in die Vergangenheit von Jörg Hittenkofer reisen; zu den Ursprüngen seines bis heute lebendigen Anti-Opportunismus; in seine Jugend; raus aus München, hinein in den hinterletzten Zipfel Bayerns. Hittenkofer war wirklich Punker – doch er lebte in einer kleinen Stadt.

Angesichts seines babypopo-glatten Schädels fällt die Vorstellung schwer, doch er schwört Stein und Bein, dass er da oben dereinst nicht nur Haare, sondern sogar ein hochtoupiertes Kunstwerk zur Schau getragen hat. Zu jener Zeit, Mitte der 80er, habe er die „Lebensidee des Punk“ cool gefunden, sie regelrecht romantisch verklärt. Kumpels mit so stereotypischen Spitznamen wie Semmel oder Brösel habe er verehrt für ihre Unangepasstheit. Hittenkofer erinnert sich an alkoholgeschwängerte Nächte in der „Schwabinger 7“ oder in der Murnauer „Obernweißen“. Etablissements, wo sich Teenager idealerweise nicht aufhalten sollten, wo der Bursche sich aber herumtreiben konnte, weil er mit 16 Jahren das Elternhaus verlassen hatte und zur älteren Schwester auf einen Bauernhof in Kohlgrub gezogen war.

Der Rebell Jörg Hittenkofer

Geboren und aufgewachsen in Garmisch-Partenkirchen, lässt sich sein Leben zunächst bodenständig an (obwohl er sein Zuhause schon zu dem Zeitpunkt als „relativ unstet“ empfindet). Hittenkofer ist Gymnasiast und quält sich durch die siebte Klasse, als der Rebell in ihm erwacht. Es habe ihm die notwendige „Leistungs-idee“ gefehlt, erzählt er. Da ist es wieder, dieses Wort: „Idee“. Es handelt sich dabei offenkundig um einen jener Begriffe, die Hittenkofers Welt im Innersten zusammenhalten. Er benutzt es fast inflationär, um sein Denken und sein Tun zu beschreiben. Neben dieser „Ideenlehre“ (Platon lässt grüßen) halten Hittenkofer eine Vielzahl kleinerer und größerer Auseinandersetzungen mit sich selbst auf Trab – wir kommen gleich dazu.

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Zunächst wieder zurück in der Zeit: Statt Abi wird es „nur“ das Quali, wobei Hittenkofer im Nachhinein froh ist, genau diesen wendungsreichen, unakademischen Weg gegangen zu sein: die abgebrochene Schreinerlehre, die ihm lediglich eine hochironisch gemeinte, hölzerne Urkunde für die meisten Fehltage einbringt. Die leicht zähneknirschend angetretene (jedoch erfolgreich abgeschlossene) Lehre zum Textilfachmann, mit der Aussicht, später das Modehaus des Großvaters zu übernehmen, den der Jugendliche allerdings verabscheut, ja den er – aufgrund seiner dogmatischen, erzkonservativen, strengen Ansichten – regelrecht als Gegner empfindet. „Vieles, was der Opa gesagthat, verstehe ich heute“, räumt das erwachsene Enkelkind ein, das zwar spät, aber schließlich doch Frieden geschlossen hat mit dem zunächst missverstandenen Urahn. (Der das Geschäft dann vorzeitig verkaufte, so dass die beiden Männer nicht mehr herausfinden konnten, ob sie harmoniert hätten als Geschäftspartner.)

Inzwischen ist Hittenkofer selbst Großvater und er vermutet, dass Tochter und Sohn ihn hinter vorgehaltener Hand längst auch als konservativ bezeichnen, obwohl er selbst ich – zugegeben – als zwar streng, doch gleichzeitig äußerst tolerant empfindet. „Zumindest“, sagt er selbst-ironisch, „in meinem Kosmos, in dem ich entscheide, was ich zulasse oder eben nicht.“ Wir lernen kennen: einige dieser Dilemmata, die ihn tagtäglich beschäftigen als eine Art Trachten-Botschafter, der selbst keine Tracht tragen mag, ja sich am liebsten hinter seinen Kollektionen und dem beteiligten Team verstecken würde. „Wenn mir als 20-Jähriger jemand gesagt hätte, dass ich mal mit Trachten hantiere, den hätte ich für verrückt erklärt“, sagt Hittenkofer schmunzelnd.

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Vom Club „Exit“ zum Gottseidank-Dirndl und Trachten-Guru

Denn, bestandene Lehre hin oder her, der junge Mann war damals schleichend vom Gast zum Gastronom geworden. Was an der Garderobe begonnen hatte, mündete schließlich in den Kauf des Lieblings-Clubs. (Wer hätte es gedacht: mithilfe einer groß-väterlichen Finanzspritze.) Wir befinden uns schon in den 90ern, Grunge ist groß, sogar in Garmisch-Partenkirchen, und in Hittenkofers „Exit“ schrammeln die E-Gitarren. Von Trachtler*innen keine Spur! „Ambros und Danzer habe ich manchmal gehört, als maximal auszuhaltende Annäherung.“

20 Jahre später gilt Hittenkofer – ob er es nun hören mag oder nicht – fast als eine Art Guru. Gottseidank trage eine ganz eigene Handschrift, sagt beispielsweise Maria Reiter, Geschäftsführerin der Rosenheimer Trachten-Boutique „Beo.“ Jedem Teil sehe man die Wertschätzung des Handwerks an, jedes Teil sei vom Stoff bis hin zum Knopf außergewöhnlich. „Jörg schafft es immer wieder, uns in Staunen zu versetzen“, schwärmt Reiter. Auf diese Weise hat Hittenkofer Gottseidank zu einem der gefragtesten Trachten-Labels des Freistaats gemacht. Was kurios ist, denn nach wie vor steht der Designer dem Tragen von Tracht skeptisch gegenüber, genauer gesagt, einem bestimmten Menschentypus in Tracht. Er spricht von denen, bei denen nur die „Party-Idee“ im Vordergrund steht. Man hört heraus: Denen fehlt der Respekt, jene Wertschätzung, die der Zweifler seinen Produkten durchaus – sogar mit einer für sein Umfeld mitunter anstrengenden Besessenheit – angedeihen lässt.

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„Schau nur, diese geniale Struktur!“

Wieder so ein Konflikt: Da ist einerseits die Wertschätzung seinen Mitarbeiter*innen gegenüber, vom Marketing bis zur Schneiderin. Andererseits muss er zugeben: „Ich suche im Laden jede einzelne Schraube, an der Kleidung jeden einzelnen Knopf selbst aus.“ Wissend, dass er sein Bedürfnis nach Kontrolle damit etwas übertreibt. Doch genau mit dieser Akribie, mit dem Vertrauen auf sein (und nur sein!) Gespür hat er Gottseidank halt zuerst zu einem Solitär und – ein paar Nachahmer später – zumindest auf ewig zum Pionier einer Bewegung gemacht. Eine Bewegung, die bei der Tracht wieder Wert auf Qualität legt, auf Herkunft, auf akurate Passformen, auf Originalität. Plötzlich gerät Hittenkofer vom Zaudern ins Schwärmen.

Auch spannend: Instandsetzung des Gugg-Hofs als archäologischer Akt

Er präsentiert uns die Entwürfe der aktuellen Kollektion. Ein Dirndl drapiert er im Showroom schwungvoll auf den großen Holztisch und streichelt liebevoll den Stoff. „Schau nur“, ruft er, „diese geniale Struktur!“ Was er an den Oberstoffen des französischen Herstellers schätze, sei ihre alt und ursprünglich wirkende Anmutung. Damit, sagt er voller Begeisterung, könne er seine Leinen-Idee perfekt verwirklichen: „Als hätte Dior in den 1960er Jahren Dirndl entworfen“, springt Kollegin Franziska ihm erklärend bei, und Hittenkofer nickt selig. Ja, der Mann steht zu seiner nostalgischen Ader!

Die Zeit etwas zurückgedreht

Ein guter Zeitpunkt, um diesem Paradoxon nachzuspüren, bei dem einer zeitgemäße Mode macht, indem er die Zeit zurückdreht. Gottseidank hat die Tracht ja nicht neu erfunden. Hittenkofer hat die Branche vielmehr erneuert, indem er sie an ihre Wurzeln erinnert, sozusagen die Kernwerte der Tracht herausarbeitet, ihre Essenz. Und dabei entwickelt ein ehemaliger Punk plötzlich sogar Sympathien für die „Trachtenerhaltungsidee“ der einschlägigen Vereine. Die, sagt er, würden von Vielen falsch verstanden. Es gehe denen ja gar nicht darum, eine Art allumfassende Uniformität einzufordern oder der Allgemeinheit vorzuschreiben, welches Hemd sie zu ihrer Hirschledernen, welche Schürze sie zu ihrem Dirndl tragen sollen. Es gehe darum, eine regionale Idee zu bewahren. „Wenn man eine historische Form in ihrer ganzen Schönheit erhalten will, darf man Verwässerung nicht zulassen!“

„Warum“, konkretisiert er seinen Denkansatz, „kommen die Leute denn gern nach Partenkirchen? Doch nicht wegen der nachträglich hingeklatschten Hochhäuser! Die erfreuen sich an der alten Kirche, an den schmucken Häusern von früher.“ Bei den Kollektionen von Gottseidank lässt sich Hittenkofer dementsprechend lustvoll leiten von all den nostalgischen Bildern aus der Vergangenheit, die ihm im Kopf herumspuken und die, räumt er ein, teilweise gewiss der Fantasie entspringen.

Eins davon: wie ein in Lederhose und Schafwolljanker gekleideter Bursche ihn, den dreizehnjährigen Jörg, auf einer Husquarna durchs Werdenfelser Land kutschiert. Tracht als lässiges, fast hippieskes Lebensgefühl; als Teil der Kultur; als Kleidung, die man ganz natürlich trägt, nicht etwa als Maskerade im Hippodrom. Hittenkofers Idee von Tracht repräsentiert eine Zeit, als das Konsumverhalten noch auf langlebig – heute würde man sagen „nachhaltig“ – ausgelegt war. Mit diesem Bewusstsein soll Gottseidank getragen werden. Wieder so ein Dilemma, in einer Branche, die auf grausame Art schnelllebig geworden ist, die auf unwürdige Weise produziert, ohne Rücksicht auf Mensch und Natur.

Mit Kawumms aus dem Hamsterrad

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„Schwierige Strukturen sind das!“, schimpft er, der schimpfen darf, weil er jahrelang mitgespielt hat in diesem Wegwerfmodezirkus – bis er sich angewidert und mit Kawumms aus diesem Hamsterrad verabschiedete. „Gottseidank!“: Der Firmenname ist auch als befreiender Aufschrei zu verstehen. Füllen wir also flugs die Lücke zwischen „Lotterleben“ und Labelgründung. Als der Stern des Exits verglüht, kehrt Hittenkofer doch in die Textilbranche zurück. Er arbeitet zunächst in dem Laden, in dem er seine Lehre absolviert hat und taucht endlich tief ins Thema Tracht ein. Später wechselt er die Seiten, um sein Verkaufstalent als Handelsvertreter in einer Agentur zu beweisen. Lederjacken, Landhausmode, die angesprochene Massenproduktion. Trachten-Ramsch aus Bangladesch. Herzlos, stillos – auf Dauer nicht zu ertragen.

„Ich habe aber gespürt, dass da bei den Verbrauchern eine Sehnsucht da ist.“ Eine Sehnsucht nach dem historischen Charme der Tracht, nach Authentizität, nach ihren ursprünglichen Ideenwelten.

Der Rest ist eine einzige Erfolgsgeschichte.

Gott sei Dank!