Die österreicherische Unternehmerin zeigt, wie ein gesünderer Umgang mit dem Handy zu einem ausgeglichenerem Leben führt.

Fotos: BUERO LUDWINA, privat

Wir alle kennen das Gefühl: Kaum haben wir das Smartphone aus der Hand gelegt, juckt es uns schon wieder in den Fingern. Notifications hier, Social Media und E-Mails da – und schwupps, sind die Stunden verflogen. Wer daran verdient, ist kaum diskutabel: In erster Linie sind es natürlich die Unternehmen, die unsere Daten sammeln – und den meistbietenden Werbekunden feilbieten. Doch profitieren wir, die Nutzer:innen, auch von der schönen neuen Welt in unserer Tasche? „Das wissen wir erst, wenn wir auf sie verzichten“, sagt Linda Meixner.

Zunächst erfolgreiche Influencerin

Die Unternehmerin aus Österreich hatte bereits vor einigen Jahren zum ersten Mal genug von der Dauerbeschallung und dem ständigen, nach Aufmerksamkeit haschenden „Ping“ ihres Smartphones. Obwohl (oder weil?) ihr Weg zunächst kaum weniger offline hätte beginnen können. Linda studierte Kommunikationsdesign in Konstanz. Anschließend arbeitete sie zwei Jahre lang bei einer Skifirma. In ihrer Freizeit folgte sie sommers wie winters dem Ruf der Berge. Die Leidenschaft für Natur und Fotografie fütterte ihren Instagram-Account. Was als Hobby begann, wuchs schnell zu einem Account mit einer Follower:innenzahl im hohen fünfstelligen Bereich an. Plötzlich war Linda Vollzeit-Influencerin. Mit eigenem Modelabel und alpinen Pop-up-Stores.  

Foto: Carola Michaela Fotografie

Der Social-Media-Ruhm war süß, aber der Preis hoch. Rund 60 Stunden Bildschirmzeit pro Woche kamen schnell zusammen, „weil das Gerät für mich auch die ultimative Hirnverlängerung war. Ich habe alles darauf abgehandelt, von E-Mails bis Office“, erinnert sich die heute 34-Jährige. Irgendwann merkte sie, dass sie der ständige Smartphone-Konsum veränderte.  „Wer bin ich als Mensch ohne dieses Social Media? Wer bin ich als Mensch ohne mein Smartphone?“, fragte lautstark das Unterbewusstsein. Aus dem mulmigen Gefühl erwuchs eine radikale Entscheidung. Im Jahr 2018 entschied Linda, sich für 66 Tage komplett von ihrem Smartphone zu trennen. Ein kompromissloses Loslassen, festgehalten und dokumentiert im Rahmen der eigenen Masterarbeit. „Es war mir eigentlich alles andere egal. Ich wollte einfach nur wissen, was passiert, wenn ich offline gehe.“

In 66 Tagen zum Offline Manifest

66 Tage dauert es, so die Wissenschaft, damit neue Gewohnheiten Wirkung zeigen, das hatte Linda schon einmal gehört. Um die konkrete Wirkung eines Smartphone-Verzichts zu messen, ließ Linda ihren Selbstversuch wissenschaftlich begleiten, unter anderem mit Tiefschlafmessungen und einer systemischen Psychotherapie. Die Ergebnisse hielt sie in einem Buch fest, das „Offline Manifest“ heißt und noch auf seine Veröffentlichung wartet. In ihrer Masterarbeit kommen auch viele jener Expert:innen zu Wort, die Linda vom ersten „Day-off“ an regelmäßig zu Rate zog und zieht. Die sagen, was Studienergebnisse bestätigen: Die andauernde Beschäftigung mit dem Smartphone bedeutet Dauerstress für unseren Körper, „der uns nicht einmal richtig bewusst ist“. Für dieses Bewusstsein braucht es eben Abstand. 

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Dem „Offline-Manifest“ folgte 2023 das „Offline Dorf“, ein Digital Balance Retreat und ein Impulsgeber für digitale Entschleunigung. Was als Selbstversuch im Rahmen von Linda Meixners Masterarbeit begonnen hat, wurde im September 2023 von der jungen Forscherin als Pilotprojekt „Offline Dorf“ fortgeführt. Mit Unterstützung durch das ISAG, Institut für Sport-, Alpinmedizin und Gesundheitstourismus, der UMIT TIROL und einem Team aus Expertinnen und Experten rund um Ao.-Univ.Prof.Dr. Cornelia Blank, Dr. Philipp Schlemmer und Stressmanagement Experte Gerhard Moser, stellt sich die 34-Jährige im Zuge ihrer Doktorarbeit der Forschungsfrage, inwiefern der Tourismus für einen bewussteren Umgang mit smarten Geräten genutzt werden kann – ein möglicher Lösungsansatz, der bisher kaum erforscht wurde.

Bewegung, Kreativität, Entspannung und sozialer Austausch sind die vier Säulen, auf denen das Projekt fußt – eine Kombination, die nicht zufällig gewählt wurde. Basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Studien sowie Erkenntnissen aus Meixners vorhergehenden Projekten, stellt diese die Grundlage für ein mögliches gesundheitstouristisches Konzept, das als Ergebnis des „Offline Dorf“ langfristig nachhaltige Impulse für eine ausgewogene digitale Balance bieten soll. 

Ohne Smartphone im Montafon

Bevor die Teilnehmenden sechs Tage lang ohne Smartphone im Bergdorf Gargellen verbrachten, wurden sie durch eine zehntägige Vorbereitungsphase an die Offline-Zeit herangeführt. Handlungsempfehlungen in Hinblick auf Geräteeinstellungen, den Umgang mit der Erreichbarkeit oder das „Abmelden“ bei Familie und Freunde dienten dazu, erste Verhaltensänderungen bereits im Vorfeld einzuführen. Ankommen heißt abschalten. Es standen analoge Erlebnisse wie eine Achtsamkeits-Wanderung, Bergyoga, Eisbaden im Gebirgsbach und Gespräche am Lagerfeuer auf dem Programm – eine naturnahe Urlaubserfahrung ohne Bildschirm. Begleitet durch wissenschaftliche Impulse aus den Bereichen Stressmanagement, Mental Health, Achtsamkeit und Resilienz sowie individuellen Gesprächen mit Expertinnen und Experten bot sich den Teilnehmenden in den Offline-Tagen die Möglichkeit, ihr eigenes digitales Verhalten zu reflektieren sowie zu erfahren, aus welchen Gründen die Aktivitäten ausgewählt wurden.

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Im kleinen Montafoner Bergdorf Gargellen in Vorarlberg (Lindas Heimatdorf, in dem nur knapp über 100 Menschen wohnen) unternahmen die ersten 25 Teilnehmer:innen ihre digitale Fastenkur. „Gesellschaftlich werden wir nie wieder zu einem vollständig Offline-Leben zurückkehren. Das ist auch nicht das Ziel“, sagt Linda, ist aber gleichzeitig überzeugt: „Jeder muss ab und an spüren, wie es ohne ist, um anschließend im Alltag wieder ausgeglichener damit umgehen zu können.“ Wer mitmacht, gewinnt erstaunlich viel: „Der Tiefschlaf verbessert sich, die Sinne werden geschärft.“ Das Gefühl, dass nicht in Fragmente zerfallende Tage ein Angebot an sehr viel Zeit zum Gestalten sind, stelle sich wieder ein. 

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Mit ihrem Projekt hat Linda auf jeden Fall einen Nerv getroffen. Über 300 Vormerkungen für die nächste Runde sprechen eine deutliche Sprache. Während sich das Projekt anschickt, eine feste Einrichtung zu werden, erwuchs auch eine Art Bewegung daraus: Den „Offtober“ begehen inzwischen tausende Instagrammerinnen und Tik-Toker. Wer live im Montafon dabei ist, wird höchstwahrscheinlich nicht nur ein Stückchen glücklicher, sondern hilft gleichzeitg Linda, ihre Doktorarbeit zu verfeinern, die Methoden und Konzepte untersucht, um eine Brücke zwischen Tourismus und Digital Balance zu schlagen. Die Forschenden rund um Linda teilen jedenfalls ihre Vision: „Je mehr wir Dinge im echten Leben tun, die uns zufriedener machen, umso weniger brauchen wir unsere Smartphones.“ Denn, sagt Linda Meixner, sehr selten sei es besser, ein Handy statt Glück in den Händen zu halten.