Ein Vollblockhaus mitten in Achenmühle ist nicht nur Shop, sondern auch ein Treffpunkt für Wollbegeisterte. Elisabeth „Sissy“ Dolganow führt das Strikkeart mit dem Segen und in Erinnerung an die Gründerin – ihre verstorbene Mutter Gisela.
Folgt man den Schildern „Wolle und Café“ in Achenmühle und betritt dann das charmante, einladende Holzhaus im Ziehenweg, betritt man fast wie im Film „Narnia“ eine andere Welt. Hier allerdings durch eine normale Eingangstür, nicht durch einen Schrank. Und dahinter wartet auch kein Faun (jener altrömische Waldgeist, der gehörnt und bocksfüßig dargestellt wird), sondern Elisabeth „Sissy“ Dolganow, die allerdings durchaus als Elfe durchgeht.
Sissy führt das „Strikkeart“. Wie der Name verrät, handelt es sich um einen Wollladen. „Wenn man auf einer Party gefragt wird, was man so macht, sorgt ‚ich habe einen Wollladen‘ meist für Erstaunen“ sagt Sissy mit einem Lächeln. Im Allgemeinen würden Wolle und Handarbeit eher mit älteren Semestern verbunden, dabei sei Stricken das „schönste Hobby der Welt“ – und zwar absolut altersunabhängig. Das sieht man nicht nur an Sissys zarten 35 Jahren, sondern auch am gemischten Publikum bei den Suppensamstagen, dem Strickfest oder den „Knit Nights“. Dazu aber später mehr.
Mit dem Strikkeart am Puls der Zeit
Extra gebaut wurde das Häuschen im Jahr 2008 von Sissys Vater, ursprünglich für Mama Gisela. Gisela Schauer (so Sissys Mädchenname) „war ganz herzlich und lieb. Die Leute kamen so gerne hierher, weil sie nie das Gefühl hatten, es ginge nur um den Umsatz.“ Das Drumherum war Gisela unheimlich wichtig. „Sie konnte so wahnsinnig gut stricken und hat immer geholfen, wo sie nur konnte.“ Die Eröffnung des Strikkeart im Januar 2009 war so gut getimed, dass das Häuschen 2011 mit einem Anbau vergrößert werden musste. Als Sissy um das Jahr 2013 mehr in den Laden einstieg, wurde aus dem Woll- und Stoffladen, der aus Giselas Patchwork-Affinität entsprang, ein Familienprojekt. „Die Mama hat die Basis geschaffen. Als ich eingestiegen bin, haben wir ein bisschen verändert.“ Nicht, dass es vorher nicht gut gewesen wäre, im Gegenteil! Die Mutter ließ Sissy aber den Freiraum, sich im Laden zu entfalten.
Giselas Erfahrung in Kombination mit dem frischen Wind, den die Tochter einbrachte – das war ein „Perfect Match“. „Mama war bei Jung und Alt beliebt, aber wenn man mehrere Stile anbietet, spricht man mehr Geschmäcker an. Das haben wir gut gemacht!“ Natürlich war nicht immer alles eitel Sonnenschein, aber in welchem Job ist das schon so? „Wenn man mit der Mama arbeitet, dann gerät man öfter mal aneinander, aber wir haben immer eine gute Lösung gefunden. Es klingt immer so abgedroschen, wenn man das sagt, aber sie war wirklich meine beste Freundin.“ Teilweise war da nur der Sonntag, an dem Gisela und Sissy sich nicht gesehen haben – dann haben sie eben telefoniert.
Und plötzlich ist alles anders
2019 änderte sich alles. Gisela wurde schwer krank, Sissy und ihr Vater pflegten sie. Gisela kam noch oft mit in den Laden, konnte aber nichts mehr machen. „Es hat ihr gut getan, im Laden zu sein. Außerdem konnte ich sie dann um mich haben“, erinnert sich Sissy. Zwei Jahre lang hat sich die Familie um sie gekümmert, dann verstarb Gisela. Ihr Tod war schwierig genug, dann kam auch noch die Corona-Pandemie. „Das war eine so harte Zeit“, sagt Sissy. Vor allem, nachdem sie den Laden zunächst ohne ihre Mama gar nicht weiterführen wollte.
Dabei hat die Achenmühlerin die beste Qualifikation, die man sich für das erfolgreiche Führen eines Wollladens vorstellen kann. Als studierte Modedesignerin kann sie Garnqualitäten so gut einschätzen wie nur wenige sonst. Vor ihrem Einstieg ins mütterliche Wollgeschäft „pendelte“ sie zwischen Zuhause und Asien, wo sie Qualitätskontrollen durchführte. Zehn Tage Asien, zehn Tage zuhause, nie Ruhe im Kopf. Wenn sie in Deutschland war, half sie der Mama, Ehren- und Herzenssache. Nach einem Jahr doppelter Belastung war für Sissy klar, dass sie so nicht weitermachen konnte und einen Ruhepol brauchte. „Ich wusste recht schnell, dass ich da hingehen muss, wo mein Herz ist.“ Bei der Mama. Und da ist es heute noch. „Egal, wie alt man ist: die Mama ist die Mama.“
Vom Lehrling zur Meisterin
Die hatte sich auch um die Buchhaltung gekümmert – eine Sache mehr, die Sissy nun lernen musste, alleine mit dem Geschäft im Vollblockhaus (das mit zwei Kaminöfen beheizt wird, was die wohlige Atmosphäre noch befeuert). Sie ist sicher: „Ohne solche Schicksalsschläge würde man derartige Sprünge, wie ich sie gemacht habe oder machen musste, gar nicht tun.“ Sissy hat zu sich gefunden und zu der Art, wie sie das Strikkeart ausstatten und führen möchte. Weg von den herkömmlichen Garnen und Designs, hin zu jung, hip und modern und zu den Garnen, mit denen diese jungen und modernen Designs und Anleitungen gefertigt werden. „Natürlich ist da auch Instagram eine wichtige Quelle.“
Völlig alleine war Sissy in ihrer ganzen Entwicklung nicht. Mitarbeiterin Karin zum Beispiel ist seit Anfang an dabei und Sissy in jeder Situation eine große Stütze. Neben Karin gibt es noch weitere helfende Hände, die anpacken, wo und wann auch immer es nötig ist. „Gott sei Dank“, sagt Sissy. Ohne Menschen wie sie wäre sie im Wortsinn verloren.
Wolle aus aller Welt
Schaut man sich in Sissys Laden um, fallen einem Garne ins Auge, die man selten in hiesigen Geschäften sieht: Ito Yarns aus Japan, Isager und Knitting For Olive aus Dänemark, Mondial aus Italien. Dazu fair gehandelte Wolle aus aller Welt, gesammelt, verarbeitet und vertrieben von Pascuali. „Wenn die Qualität vom Garn nicht stimmt, dann trägt man auch nicht, was man da gemacht hat. Dann strickt man es schon nicht gern, es fühlt sich nicht gut an. Deswegen ist es mir unheimlich wichtig, gute Qualitäten anbieten zu können.“
Nach Giselas Tod hat Sissy ein bisschen umgerüstet. Die Mutter stand hinter anderen Marken als Sissy, doch die hat irgendwann gemerkt, dass es für sie andere Garne sein müssen, die besser zu ihr passen und zum Konzept. Natürlich sind weiterhin auch Garne in Basic-Qualitäten in den Regalen, die auch in vielen Anleitungen verarbeitet werden. Schließlich soll alles gestrickt werden können. Aber in den Mainstream-Garnen sieht sich Sissy einfach nicht. Etwas mit den eigenen Händen anzufertigen soll etwas besonderes sein. „Wenn man etwas selbst erschafft, dann passt man viel besser drauf auf. Und wenn das noch aus einem Garn von guter Qualität entsteht, dann ist dieses Kleidungsstück nachhaltig. Richtige Wolle ist nicht mehr dieses kratzige Material, das man von der Oma bekommen hat. Gute Wolle ist weich, temperaturregulierend und kann künstlich nicht eins zu eins nachgestellt werden.“
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Wird es von Sissy mal eine Anleitung geben? „Lust hätte ich schon“, sagt sie, „aber da steckt so unheimlich viel Arbeit drin. Das muss in allen Größen testgestrickt werden, es muss durchdacht werden und so weiter. Der Markt ist eh voller cooler Designer*innen und Anleitungen.“ Klingt eher nach einem Nein. „Aber es gibt so viele talentierte, großartige Designs von jungen Leuten, das muss man unterstützen. Und es passt zu mir.“
Das Strikkeart als Ort der Begegnung
Stricken ist ein Hobby, das man super alleine machen kann, aber eben auch in Gesellschaft. Und diese Gesellschaft, die findet man oft und reichlich im Achenmühler Ziehenweg. Zum Beispiel bei einer Knit Night, die einmal im Monat stattfindet. „Eingeladen sind alle, egal ob man strickt, häkelt oder gar nichts macht.“ Es geht um die Begegnung, um das Zusammensein. Manche haben „viel emotionales Gepäck“ dabei und möchten eine kurze Auszeit nehmen, wollen Ablenkung. Und wenn‘s nur einfach mal raus von daheim ist – bei Snacks, Drinks und Wohlfühl-Wolle.
Begegnung wird im Strikkeart eh ganz groß geschrieben. Während der Ladenöffnungszeiten gibt es Kaffee und selbstgemachten Kuchen, ein Frühstückchen, Tee oder eine Winzigkeit zu essen. Gratis obendrauf: Jede Menge handgearbeitete Inspiration; von anderen Gäst*innen oder Sissys Strickerinnen, die feine Modelle ins Strikkeart zaubern. Dazu kommen Knit Nights, Suppensamstage oder auch das Strickfest. „Der Suppensamstag hat sich irgendwie so entwickelt. Das ist eigentlich ein langer Samstag, an dem man eben auch Suppe essen kann. Nach einer Suppe geht‘s einem immer gut, das ist ein Seelenwärmer.“
Den Suppensamstag gibt es seit November 2022, mittlerweile muss man sich vorher anmelden. Der Ansturm ist so groß, „da komme ich mit zehn Portionen nicht mehr weit.“ Das Konzept, Geschäfte in Aufenthaltsbereiche zu verwandeln, ist gar nicht so neu, klärt uns Sissy auf. „In Skandinavien ist das etwas völlig normales, sich in einen Laden zu setzen, zu stricken oder zu häkeln und einen Kaffee oder Tee zu trinken. Und ich finde das wahnsinnig schön.“ Besucher*innen aus München, Freilassing und sogar Zell am See stimmen da zu. Manche legen sogar ihre Pausen auf der Durchreise in oder aus dem Süden so, dass sie ins Strikkeart gehen können. Verrückt und total lieb, findet auch Sissy.
Das Strickfest ist das Highlight im Strickjahr. Beim Strickfest kommen Garnliebhaber*innen, Strickende, Häkelnde und alle, die gerne mit den Händen kreativ sein möchten, zusammen. „Andere gehen auf Partys und trinken Alkohol, wir gehen aufs Strickfest und trinken eben da“, fasst Sissy zusammen. Das Strickfest findet meist zum Start der neuen Strick-Saison statt und es können neue Garne, neue Farben oder auch neue Designs begutachtet, Inspirationen abgeholt und Lose für die Tombola zu Gunsten des Sozialwerks Rohrdorf gekauft werden. „Beim vergangenen Strickfest wurden es immer weniger Lose im Topf, aber der Hauptpreis lag immer noch drin!“ Spannung pur, war der Hauptpreis doch die Teilnahme an einem Wollfärbekurs.
Wolle und Workshops
Womit wir bei den unzähligen Workshops wären, die Sissy ebenfalls anbietet. Vom Sockenstrickkurs übers Trachtenstricken bis zu Wolle färben, Pullover oder Mützen stricken. Das neue Programm steht in den Startlöchern und es ist wieder eine Menge geplant. Wolle spinnen steht auch ganz hoch im Kurs. Zusammen mit dem Färbekurs und dem anschließenden Stricken bräuchte man jetzt nur noch ein Schaf, witzeln wir.
Wobei: „Ein Alpaka hätte ich echt gerne“, sagt Sissy. „Das würde sich richtig gut machen hier im Garten.“ Daran hätte bestimmt auch Olivia einen Riesenspaß, Sissys zweijährige Tochter. Nachdem die Mama sich jetzt doch vorstellen kann, das Strikkeart den Rest ihres Lebens zu führen – vielleicht steigt Olivia mal mit ein und führt die von Gisela und Sissy ins Leben gerufene Tradition fort.