Matthias Helwig führt die Breitwandkinos in der Region StarnbergAmmersee und lädt zum inzwischen 15. Fünf Seen Filmfest. Ein Portrait.

Wer kann schon von sich behaupten, mit 61 Jahren noch immer seiner ersten Liebe treu zu sein? Matthias Helwig zum Beispiel. Ihn hat es schon als Kind derart erwischt, dass sie ihn ein Leben lang nicht losgelassen hat: die Liebe zum Kino. Als kleiner Junge, an der Seite seines Vaters im dunklen, von der Leinwand dominierten Raum sitzend, hat Helwig die Macht der Bilder erfahren. „Die Geschichten, die die Bilder auf der Leinwand erzählen, gehen so in mich hinein, dass sie dort bleiben und mich ausmachen“, sagt Helwig. Als der Vater viel zu früh verstarb, Matthias Helwig war erst elf, waren es diese Filmmomente, die der Sohn sich als emotionales Vermächtnis bewahrte.

„Über den Dächern von Nizza.“ „Das Fenster zum Hof.“ Grace Kelly, Cary Grant – die alten Hollywood-Stars prägen den 61-Jährigen noch immer. Wenn Helwig heute in seinem Gautinger Breitwandkino Interviews gibt, stärkt ihm Henry Fonda den Rücken, der hinter ihm auf einem Filmplakat zu „Faustrecht der Prärie“ lässig auf der Veranda sitzt und in die Ferne sieht.

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Erstes Breitwand-Kino in Gilching

In Birkenstocks und Strickjacke: Es ist 35 Jahre her, dass Helwig einen Weg gefunden hat, seine Filmbegeisterung mit anderen zu teilen. Damals übernahm er als Mittzwanziger in Birkenstocksandalen und Strickjacke das Kino seiner Heimatstadt Gilching und taufte es von Film-Casino in Kino Breitwand um. Die Programmkino-Ära im Kreis Starnberg war damit eingeläutet. Heute möchten die Cineasten aus der Region und darüber hinaus die nach einem bekannten Filmformat benannten Lichtspielhäuser in Starnberg, Gauting und Seefeld nicht mehr missen.

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Fotos: Jan Roeder, Johanna Schlüter, Maren Martell, Pavel Broz, Dieter Mayr, Jörg Reuther, Paul Schirnhofer

„Kinobesitzer zu werden, war wahrlich nicht mein Kindheitstraum“, sagt der großgewachsene Mann mit den dunkelbraunen Augen und dem silbergrauen Haar und lacht laut und fröhlich. „Eigentlich wollte ich nur den Abschlussfilm meines Studiums an der Münchner Filmhochschule im Kino Gilching zeigen. Was das gekostet hätte, konnte ich mir allerdings beim besten Willen nicht leisten.“ Das Jobangebot Filmvorführer, das ihm der damalige Kino-Betreiber Willy Velten stattdessen machte, kam dem jungen Vater dafür umso gelegener. „Die Arbeit als Vorführer war wirklich total langweilig“, erteilt Matthias Helwig jeder nachträglichen Verklärung an den inzwischen ausgestorbenen Beruf eine Absage. „Zu damaliger Zeit haben wir immer nur einen Film gezeigt, den musste man zusammenschneiden, dann hat man ihn, ein- vielleicht zweimal gesehen und saß ansonsten an der Kasse `rum und hat auf die Leute gewartet.“

Matthias Helwig übernimmt

Als Velten zwei Jahre später bei einem Autounfall tödlich verunglückt, bewirbt Helwig sich mit einer guten Mischung aus Blauäugigkeit und Idealismus um die Nachfolge. Weder die Witwe noch die Bank lassen sich von fehlender Krawatte und mangelndem Businessplan abschrecken. Dafür lassen sie sich von Helwigs tiefsitzender Kinobegeisterung überzeugen, schenken ihm Vertrauen und gewähren Kredit.

Herzblut-Engagement fürs erste Kino: Es sollte nicht lange dauern, bis das Kino Breitwand acht Filme gleichzeitig zeigte. Abend-, Spät- und Matinee-Vorstellungen sowie Kinderfilme ergänzten bald das Programm. Statt Langeweile herrschte plötzlich rege Betriebsamkeit. Der frisch gebackene Kinobesitzer spannte Freunde ein, Plakate mussten gehängt, Zeiten abgestimmt werden. Helwig verbrachte mehr Abende im Kino als bei der Familie, entdeckte neue Möglichkeiten, seine Liebe zum Film, seine Kreativität zu kanalisieren. Schon im ersten Jahr zahlte sich sein Herzblut-Engagement aus: Das Breitwand wurde für sein herausragendes Jahresfilmprogramm in Bayern vom BKM ausgezeichnet.

Fotos: Jan Roeder, Johanna Schlüter, Maren Martell, Pavel Broz, Dieter Mayr, Jörg Reuther, Paul Schirnhofer

Matthias Helwig blickt zurück

Nach und nach entwuchs Helwig den Birkenstocks und der Strickjacke. Er wurde Unternehmer, trägt zwar noch immer keinen Schlips, dafür aber Verantwortung für ein mittelgroßes Team, das in Festivalzeiten auf 50 bis 70 Mitarbeiter*innen anwächst. Nicht gerade leicht sei ihm das im vergangenen Jahr gefallen, als monatelange Kinoschließungen und Kurzarbeit schließlich ihren Tribut forderten. Zwei Mitarbeiter musste Helwig schließlich entlassen. „Das war wirklich schwer, denn mein Team ist wie eine Familie für mich.“

Nachdenklich wird der 61-Jährige auch bei der Frage, ob die Entscheidung für den Kinosessel und gegen den Regiestuhl im Rückblick die richtige war. Einige Male wird der heute fünffache Vater und zweifache Großvater gezweifelt haben. Vielleicht als die erste Ehe zerbrach, dann die zweite. Und sicherlich, als nach zwölf Jahren das Gilchinger Breitwand einem Mainstreamkino weichen musste. „Damals war schon so ein Moment, in dem ich mein Leben hätte anders gestalten können. Noch hätte ich zurückgekonnt in die Filmbranche“, sagt Helwig. Das Angebot, in Herrsching (das Kino wurde 2018 geschlossen) sowie in Seefeld zwei neue Kinosäle zu eröffnen, beendete die Grübelei. Heute sind die mit modernster Technik ausgestatteten Breitwand-Kinos in Starnberg, Seefeld und Gauting zu Magneten für Filmliebhaber mit Anspruch geworden. Das Programmkino und die Arthouse-Produktionen, die vor allem im Schloss Seefeld laufen, werden regelmäßig ausgezeichnet. Seit Jahren gehören Helwigs Lichtspielhäuser zu den „European Cinemas“, einer Vereinigung der besten europäischen Programmkinos.

Wagnis Filmfest

Auch das Fünf Seen Filmfestival in der Region Starnberg-Ammersee, das heuer vom 18. bis 31. August stattfindet, hat sich längst als Place to be für Cineasten sowie Filmschaffende etabliert. 15 Jahre ist es her, dass Helwig das gar nicht so kleine Wagnis eingegangen ist, ein Filmfest in ländlicher Umgebung zu veranstalten. Zumal es abseits einer Metropole keine Garantie für eine kritische Masse an interessierten Zuschauern geben konnte. Der Initiator erklärt die risikoreiche Standortwahl mit seiner Heimatverbundenheit: „Ich bin 57 Jahre lang dem Landkreis treu geblieben, habe es im Leben nie weiter als nach Weßling und Wörthsee gebracht.“ Wieder schallt es laut und fröhlich durchs Kino Gauting.

Fotos: Jan Roeder, Johanna Schlüter, Maren Martell, Pavel Broz, Dieter Mayr, Jörg Reuther, Paul Schirnhofer

Matthias Helwig gibt Filmen außerhalb des Mainstreams eine Chance

Dass das fsff inzwischen nach München und Hof als drittgrößtes Kinofestival Süddeutschlands gilt und bis zu 20.000 Zuschauer anzieht, sieht Helwig als Bestätigung seines Versuchs, filmischen Werken, die sich im üblichen Kinobetrieb „marktwirtschaftlich nicht genügend auswerten“ ließen, eine Bühne zu geben. Neben der reizvollen Voralpenkulisse – viele Filme werden in Open-Air-Vorstellungen an den Seen gezeigt – und der hohen Qualität der rund 150 ausgewählten Werke nennt Helwig ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: „Wir haben den familiären Charakter der Anfangsjahre bewahrt. Über 14 Tage treten wir mit den Filmleuten und dem Publikum in einen Dialog, tauschen uns aus über Film, Kultur und Gesellschaft und versuchen, neue Perspektiven aufzuzeigen.“ Natürlich sei die Planung des Festivals auch im zweiten Coronajahr herausfordernd gewesen. Doch Helwig weiß, dass alle Mühen entschädigt werden: „Spätestens, wenn die Menschen im dunklen Raum vor der hellen Leinwand sitzen und die Geschichten, die die Bilder ihnen erzählen, durch sie hindurchgehen.“

Hier findet Ihr das Programm des 15. Fünf Seen Festivals 2021: Das Filmprogramm