Die Siegerin zahlreicher Ultrarennen hat im Tölzer Land sieben Touren auf Schotter gescoutet.

Fotos: Axel Hallbauer, Sara Hallbauer

„Ich versteh‘ mich nicht als Sportlerin, sondern einfach als Hobby-Radlerin und hab‘ eben jetzt das Glück, dass ich ein paar Rennen gewonnen habe.“ Wenn man sich eine Weile mit Sara Hallbauer unterhalten hat, klingt so ein Satz aus dem Mund der Wackersbergerin weniger nach Koketterie als nach der unprätentiösen Selbsteinschätzung einer Frau, die ihren eigenen Weg gefunden hat. Dabei ist die 43-Jährige nicht nur irgendeine Sportlerin, sondern eine Ultra-Sportlerin. Also jemand, der sich extremsten Belastungen aussetzt und irre körperliche Höchstleistungen erbringt.

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Noch vor vier Jahren hätte sie nicht im Traum geglaubt, so weit zu kommen. Doch seit Sara 2020 mit dem Ultracycling begonnen hat, konnte sie einen Superlativ nach dem anderen im Bike-Kosmos für sich verbuchen. 2021: zweitschnellste Frau beim Northcape 4.000 vom Gardasee über den Plattensee, Krakau, Riga und Helsinki bis ans Nordkap auf der Insel Magerøya. 2022: einzige Frau überhaupt, die es beim berüchtigten Race across France ohne Unterstützung ins Ziel schaffte – nach neun Tagen, 2.500 Kilometern, 40 Pässen, 36.526 Höhenmetern und Schlafpausen von maximal vier Stunden; begleitet von Hitze, Dauerregen und Hagelstürmen. Mai 2023: erste Frau beim Italy Divide, einem der anspruchsvollsten Gravel- und MTB-Ultrarennen Europas. Welche Extremtour die 167 Zentimeter große und 59 Kilo schwere Tölzerin im Sommer mit ihrem geliebten Bike bezwingen möchte, will sie nicht verraten: „Ich mag beim Radfahren nicht gern beobachtet werden.“ Wieder so ein Satz, der durchscheinen lässt, dass es Hallbauer um etwas anderes geht, als sich selbst oder anderen etwas zu beweisen.

Vom Kettenrauchen zum Gravelbiken

„Ich komme nicht vom Sport, habe keinen Triathlon-Hintergrund oder so. Ich muss also keinen alten Rekorden hinterherfahren. Und mit der North-cape-Reise hatte ich mir ja schon alles erfüllt, was ging“, erklärt die Tölzerin. Und auch, wie überraschend es damals für sie selbst gewesen sei, die 4.500 Kilometer nach 17 Tagen (erlaubt waren 22) tatsächlich überwunden zu haben. Ihre Vergangenheit als kettenrauchende Marketingmaschine in der feierwütigen Musik- und Medienwelt habe jedenfalls nicht dafürgesprochen. Niemand ihrer Freunde, die ihre Route über die Tracking-App Strava verfolgten, habe überhaupt gewusst, dass sie an einem Rennen teilnahm, wohin die Reise sie wirklich führen würde. „Es ging mir nur darum, Etappe für Etappe zu schaffen, und immer wieder habe ich gemerkt, so schlimm war’s doch gar nicht. Doch erst auf der Fähre von Tallin nach Helsinki wurde mir klar, ich würde es schaffen.“

Inzwischen ist Sara bewusst, dass für Langstreckenrennen außer rein körperlicher Fitness vor allem eine große mentale Stärke vonnöten ist sowie die Fähigkeit, eine solche Reise mit ihren engen Checkpoint-Zeiten minutiös vorzubereiten. Ebenso existentiell: Spontaneität und Einfallsreichtum, um mit Stress-Situationen, die trotz der besten Planung entstehen können, gelassen umzugehen und pragmatisch Lösungen zu finden. Nach all den abgestrampelten Kilometern, vorzugsweise auf dem Gravelbike, hat die ehemalige Marketingchefin diverser Musik- und Fernsehsender sowie von BERGZEIT, dem Online-Portal für Bergsportausrüstung mit Sitz in Otterfing, eine veränderte Haltung an sich festgestellt: „Denn irgendwann kapierst du, dass es nach jedem Pass wieder runtergeht und nach jeder Abfahrt auch wieder hoch. Dann wird dir klar, dass das Radfahren eine coole Metapher fürs Leben ist.“ 

Gravelbiken als Resilienztraining

Die Wackersbergerin empfindet ihr sportliches Hobby weniger als rein körperliches Ausdauertraining denn als Resilienztraining, das Gelassenheit und Empathievermögen steigere. „Nur, wenn man mal etwas ausgehalten, in Extremsituationen gelernt hat, sich selbst so richtig zu fühlen, ist man doch auch in der Lage, andere zu fühlen und zu führen“, glaubt die Bikerin. Um diese Erfahrungen machen zu können, hat Hallbauer ihr Leben vor drei Jahren auf den Kopf gestellt und mit der Kündigung ihrer Führungsposition mit 30 Mitarbeitenden bei Bergzeit einen Schritt gewagt, der ihren Mitmenschen, gelinde gesagt, wagemutig erscheinen musste. Dass es überhaupt dazu kommen konnte, hat viel mit ihrem Mann zu tun und mit Axels Wunsch, mit ihr auf der unter Radsportler*innen sehr beliebten Insel Mallorca Fahrrad zu fahren. Obwohl Sara mit „diesen Radspinnern“ nichts zu tun haben wollte, schenkte er ihr ein Rennrad. Ohne zu ahnen, dass dieses Geschenk für seine zu Extremen neigende Angetraute zum „Life changer“ werden sollte.

Die erste gemeinsame Mammut-Tour plante das Paar für Sommer 2020 als Geburtstagsgeschenk zu Saras Vierzigstem. Getreu dem Motto „Think big“ sollte es nichts Geringeres als die Great Divide Mountain Bike Route werden, die auf schlappen 4.470 Kilometer von Kanada nach Mexico führt. Corona, Lockdown, Reiseverbot machten die Pläne unversehens zunichte. Das gemeinsame Sabbatical war indes gewährt und ihre für die ewig langen, amerikanischen Schotterpisten gedachten, speziellen Langstrecken-Gravelbikes bereits angeschafft. „Also wurde aus der Great Divide die Germany Divide, unser erstes großes Bikepacking-Abenteuer von Rheinfelden bis Rügen“, erzählt Sara.

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Nur das Nötigste landete in den Sattel-, Rahmen- und Lenkertaschen. Darunter Zelt, Isomatte und Schlafsack. „Denn damals hatten coronabedingt in Baden-Württemberg und Bayern die Hotels noch zu, wir mussten draußen schlafen“, erinnert sie sich lachend. Das Schönste an der ganzen Reise sei neben der unerwartet abwechslungsreichen Natur von Süd- bis Norddeutschland die Freude der Menschen gewesen, die, ausgehungert nach sozialen Kontakten, dem Biker*innen-Paar überall mit größtem Interesse und Freundlichkeit begegnet seien. Sie sagt: „Erst wenn du unterwegs bist, merkst du, wie viele tolle Menschen es gibt.“

„Zurück im Büro habe ich mir die Karten gelegt“, berichtet Sara, „na klar, ich hätte noch 20 Jahre so weiterarbeiten können, aber wenn ich noch was sehen wollte von der Welt und mit dem Fahrrad noch was erreichen wollte, dann jetzt mit 40.“ Kurzerhand kündigte sie und machte sich als Online-Marketing-Beraterin selbständig: Saras Weg, ihr zeitintensives Hobby mit dem Job zu vereinbaren. „Natürlich sitze ich nicht nur im Sattel und strample oder füttere die Sozialen Medien, sondern arbeite auch gerne mal Freitagsnacht oder an einem verregneten Sonntag durch“, sagt Sara. Dennoch sei sie sehr glücklich über die radikale Veränderung ihrer Lebensweise: „Mein Leben ist jetzt MEIN Leben.“

Auch sportlich: Mit dem Bike durch Patagonien

Hallbauer möchte die Freude und Erfüllung, die ihr das Graveln bereitet, mit anderen Menschen teilen. Deshalb hat sie für das Tölzer Land sieben Touren mit 30 bis 90 Kilometern Länge und 380 bis 1.130 Höhenmetern gescoutet, alle nicht zu technisch, alle wunderschön, darunter ihre Lieblingsstrecke, die „Gravel deluxe“ von Lenggries zum Walchensee. Zu finden auf www.toelzer-land.de/gravel. Wenn sich die vielen Radler auf den Mountainbike- und den Gravelrouten besser verteilten, sei der unter Frei- zeitdruck stehenden Region am Ende sicher geholfen, glaubt sie. Immer vorausgesetzt, die Sportler*innen verhielten sich umweltbewusst und ließen beispielsweise keine Gel-Tütchen am Wegesrand zurück. „Die nerven mich total!“

Insbesondere Frauen möchte die Langstreckenradlerin mit ihren Touren durchs Tölzer Land fürs Schottern begeistern, von ihnen seien noch viel zu wenige im Gravel-Sport vertreten. „Ich möchte langfristig das Bild von der Radfahrerin verändern, die ja immer nur hinterherfahre“, sagt Sara, „darum ist auch mein Blog ‚Bikepackers. Raus aus dem Windschatten, rein ins Abenteuer‘ besonders den Frauen gewidmet.“ Wie sehr Frauen voneinander profitierten und sich gegenseitig stützten, hat die Ultrabikerin nicht zuletzt auf der Race across France erlebt. Etwa, als sie auf dem Col de Leschaux in so einen argen Hagel kam, dass sie ganz verzweifelt abbrechen und sich retten lassen wollte.

Stattdessen klopfte sie an die erstbeste Haustüre. „Natalie, eine geschiedene, alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern in einem abgelegenen Berghaus, öffnete mir. Sie ließ mich, ohne mich jemals zuvor gesehen zu haben, bei sich übernachten.“ Die Gefühle an diesen Moment bedingungsloser Solidarität überwältigen sie. Sara verstummt kurz, bevor sie weiterreden kann: „Frauen können sich so krass helfen. Ohne Natalie und einige andere Pensionswirtinnen, die die halbe Nacht wachgeblieben sind, nur um mir zu öffnen, hätte ich das Rennen nicht durchgestanden.“